Große Reform im Stiftungsrecht: Interview mit Dr. Katharina Gollan

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 03.04.2023
Rechtsgebiete: Handels- und GesellschaftsrechtVerlag|1686 Aufrufe
Dr. Katharina Gollan

Etwa 25.000 rechtsfähige Stiftungen gibt es in Deutschland. Einige von ihnen sind Jahrhunderte alt. Die meisten wurden jedoch in den vergangenen 20 Jahren errichtet - allein 1.000 Stiftungen im vorigen Jahr. Zum 1. Juli 2023 tritt nun die umfangreichste Reform seit der Kodifizierung der Stiftung bürgerlichen Rechts in Kraft. Aus bisher neun stiftungsrecht-
lichen Paragrafen werden 36. Was das für bestehende und für künftige Stiftungen bedeutet und ob Handlungsbedarf besteht, besprechen wir im Interview mit Rechtsanwältin und Stiftungsexpertin Dr. Katharina Gollan.

Frau Dr. Gollan, wie bedeutsam ist die unmittelbar bevorstehende Reform des Stiftungsrechts?
Durch die Reform wird erstmals das Stiftungsrecht bundesrechtlich vereinheitlicht und abschließend im BGB geregelt. Die Reform betrifft allerdings nur das Zivilrecht. Die Stiftungen unterliegen weiterhin einer öffentlich-rechtlichen Aufsicht durch die Stiftungsbehörden auf Grundlage der Landesstiftungsgesetze. Trotz der zahlreichen neuen Vorschriften im BGB sollte man im Hinterkopf behalten, dass es dem Gesetzgeber im Wesentlichen darum ging, den Status Quo des Stiftungsrechts zu vereinheitlichen. Neu wird allerdings das Stiftungsregister sein, das ab dem Jahr 2026 mehr Transparenz ins Stiftungswesen bringen soll.

Bevor wir in die Details einsteigen: Wen betrifft das neue Recht?
Wir müssen hier zwischen Stiftern und Stiftungen unterscheiden. Wenn ein Stifter eine neue Stiftung errichten möchte, gilt hierfür ab Juli das neue Stiftungszivilrecht. Aber die Reform betrifft eben auch die 25.000 bestehenden Stiftungen. Eine Stiftung ist eine auf Kontinuität angelegte Rechtsform, die nicht so einfach wie eine GmbH verändert werden kann. Insofern ist es schon etwas Besonderes, dass sich für die bestehenden Stiftungen ihr Rechtsrahmen ändert. Als weitere Gruppe sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Stiftungsbehörden von der Reform betroffen. Sie üben die laufende Aufsicht über die Stiftungen aus und müssen daher das geltende Stiftungszivilrecht kennen und anwenden. Mittelbar ist darüber hinaus der gesamte Rechtsverkehr betroffen, also Vertragspartner und Gläubiger von Stiftungen, wie etwa Pflichtteilsberechtigte von Stiftern. Die Wahrscheinlichkeit, sich irgendwann mit dem Stiftungsrecht auseinandersetzen zu müssen, ist bei rund 25.000 existierenden Stiftungen relativ hoch.

Blicken wir auf einige zentrale Punkte der Reform, beispielsweise den großen Bereich der Strukturänderungen. Was verändert sich dort?
Unter Strukturänderungen verstehe ich Satzungsänderungen, Verschmelzungen im stiftungsrechtlichen Kontext »Zulegungen« und »Zusammenlegungen« genannt - sowie Auflösungen von Stiftungen. Das Wichtigste vorab: Die Stiftungsbehörde wird weiterhin an diesen Strukturänderungen mitwirken. Denn wie ich eingangs sagte, betrifft die Reform nur das Stiftungszivilrecht und nicht die behördlichen Genehmigungserfordernisse. Außerdem werden Anderungen der Satzung weiterhin nur unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen zulässig sein. Zwar wurde diskutiert, ob Stifter in den ersten Jahren nach Errichtung der Stiftung ein freies Anderungsrecht erhalten sollen, das hat sich aber nicht durchgesetzt. Bislang sahen die Landesstiftungsgesetze unterschiedliche Regelungen vor, nun werden die Voraussetzungen für Strukturänderungen vereinheitlicht. Was das jetzt für die einzelne Stiftung bedeutet, hängt stark davon ab, wie die konkrete Satzung ausgestaltet ist und in welchem Bundesland die Stiftung ansässig ist. Wichtig für kleinere Stiftungen, denen es an Mitteln für eine nachhaltige Zweckverwirklichung mangelt, ist, dass es in Zukunft einen klaren Rechtsrahmen für Zulegungen und Zusammenlegungen geben wird. So können sich mehrere kleine Stiftungen zusammentun.

Auch beim Stiftungsvermögen sollen sich durch die Reform neue Möglichkeiten eröffnen. Welche sind das?
Grundsätzlich müssen Stiftungen ihr Grundstockvermögen erhalten und ihre Zwecke aus den Erträgen erfüllen. Die bisher umstrittene Frage war: Gehören Umschichtungsgewinne zum Vermögensstock oder zu den laufenden Erträgen? Stellen Sie sich vor, die Stiftung hat vor 20 Jahren eine Immobilie erworben und veräußert sie heute mit Gewinn. Ist das Grundstockvermögen oder ein Ertrag, aus dem der Stiftungszweck erfüllt werden kann? Das wurde bisher bei Stiftungen, deren Satzung hierzu keine Aussage trifft, in den Bundesländern unterschiedlich gesehen. Nun steht fest, dass Umschichtungsgewinne für den Stiftungszweck verwendet werden dürfen - vorausgesetzt, der Stifter hat in der Satzung nichts anderes vorgesehen. Das ist insbesondere für kleinere Stiftungen mit Aktiendepots und Immobilien wichtig, aber auch für größere Stiftungen mit Private Equity-Investments. Ob die einzelne Stiftung jetzt neue Möglichkeiten durch die Reform erhält, hängt wieder stark von der Satzung ab.

Die Haftung der Stiftungsorgane ändert sich ebenfalls durch die Reform. Was hat es insbesondere mit der neuen Business Judgment Rule auf sich?
Künftig wird das BGB im Stiftungsrecht einen haftungsfreien Ermessensspielraum für die Stiftungsorgane regeln. Erleidet die Stiftung also etwa einen Vermögensverlust, so haften die Organe hierfür nicht, wenn sie ursprünglich eine sorgfältige Anlageentscheidung getroffen haben. Diese Regelung erfolgt in Anlehnung an das aktienrechtliche Vorbild der Business Judgment Rule in § 93 AktG. Im Stiftungsrecht hat die ganz herrschende Meinung die Business Judgment Rule bereits anerkannt, und auch in der stiftungsrechtlichen Rechtsprechung gibt es entsprechende Anklänge. Mit der Reform wird sie nun ausdrücklich im Stiftungsrecht kodifiziert. Für unentgeltlich tätige Organmitglieder gilt zusätzlich das Ehrenamtsprivileg: Bei leichter Fahrlässigkeit haften sie nicht.

Was geschieht eigentlich mit den zahlreichen Stiftungsgesetzen der Bundesländer, wo wir doch nun die neuen bundeseinheitlichen Rechtsvorschriften bekommen?
Die Landesstiftungsgesetze regeln bisher neben der öffentlich-rechtlichen Aufsicht über die Stiftungen auch zivilrechtliche
Themen, zum Beispiel besondere Haftungsmaßstäbe, Voraussetzungen für Satzungsänderungen und teils auch Zusammenschlüsse von Stiftungen. Jetzt wird das Zivilrecht abschließend im BGB geregelt. Deswegen sind die Länder aufgerufen, bis Ende Juni ihre Stiftungsgesetze anzupassen. Eine Gesetzgebungskompetenz haben sie nur noch für das Öffentliche Recht. Wenn die Streichung der zivilrechtlichen Regelungen unterbleibt, werden sie automatisch unwirksam. Bisher hat nur Brandenburg ein neues Landesstiftungsgesetz verabschiedet. Daneben existieren weitere Entwürfe. Die Ernüchterung in der Praxis ist aber schon jetzt groß, weil die Regelungsansätze sehr unterschiedlich sind. Was der Bundesgesetzgeber auf Ebene des BGB an Vereinheitlichung versucht hat, wird durch die Bundesländer teils konterkariert.

Wie ist es denn mit der Reform um die Rechtsschutzmöglichkeiten der Stiftung bestellt, die in der Vergangenheit oft als unzureichend kritisiert wurden?
Hier hat sich leider nichts verbessert. Ich sagte eingangs, dass es das wesentliche Anliegen des Reformgesetzgebers war, den Status Quo im Stiftungsrecht zu kodifizieren. Man hat also nicht wie beim MoPeG das Konzept der Rechtsform überarbeitet und sich überlegt, was ein modernes Stiftungsrecht heute benötigt. Dazu hätte unbedingt eine Stärkung der Klagebefugnisse von Stiftungsinteressierten gehört. Wir haben erhebliche Rechtsschutzdefizite. Deswegen gibt es die Forderungen, eine »actio pro fundatione« und eine Stiftungsaufsichtsbeschwerde einzuführen. Hier können wir nur auf Verbesserungen im Anschluss an die Evaluation der Reform hoffen, die für Mitte 2025 geplant ist.

Mit etwas zeitlichem Abstand, zum 1. Januar 2026, soll dann noch ein Stiftungsregister eingeführt werden. Was hat es mit diesem Register auf sich?
Wir haben im Stiftungsrecht, anders als im Handels- und Gesellschaftsrecht oder im Vereinsrecht, bislang kein öffentlich zugängliches Register. Stattdessen unterhalten die Länder sogenannte Stiftungsverzeichnisse. Das sind Listen im Internet mit gewissen Angaben zu den Stiftungen. Diese Datenbanken variieren stark nach Bundesland, der Informationsgehalt ist nicht besonders hoch, und die Richtigkeitsgewähr niedrig. Um diesem Missstand abzuhelfen, hat sich der Gesetzgeber dazu durchgerungen, künftig ein Stiftungsregister einzuführen. Die Stiftungen, die dort registriert sind, tragen dann den Rechtsformzusatz »eingetragene Stiftung« oder »e.S.« So froh alle sind, dass es überhaupt ein Register geben wird, es gibt drei große Kritikpunkte an der Ausgestaltung: Erstens dürfte für die Ansiedlungen des Registers beim Bundesamt für Justiz statt bei den Amtsgerichten, wie bei den Handelsregistern üblich, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fehlen.

Wir werden sehen, ob sich Stiftungen gegen die Registrierungspflicht wehren werden, und die Kompetenzfrage gerichtlich geklärt wird. Ein zweiter, ganz wichtiger Kritikpunkt ist: Das Register sieht nur eine negative Publizität vor. Das bedeutet, das Register schützt nicht den guten Glauben daran, dass das Eingetragene auch rechtlich gilt. Das ist aber natürlich das, was ich wissen möchte. Ich möchte in das Register hineinschauen und darauf vertrauen, dass die dort eingetragenen Personen auch zur Vertretung berechtigt sind. Aber das Stiftungsregister soll nur den guten Glauben daran schützen, dass etwas, das nicht eingetragen ist, rechtlich auch nicht gilt. Hier muss der Gesetzgeber unbedingt nachschärfen. Schließlich fehlen wichtige Angaben zu den Stiftungen, insbesondere der Stiftungszweck und die Geschäftsanschrift, die etwa im Handelsregister frei einsehbar ist.

Abschließend würde uns noch interessieren, was empfehlen Sie Stiftungen und Stiftern mit Blick auf die bald in Kraft tretende Reform? Besteht Handlungsbedarf?
Da ist zu differenzieren. Die Stiftungen selbst sollten sich mit den neuen Regelungen vertraut machen. Sie sollten prüfen, welche Änderungen die Reform für sie selbst mit sich bringt. Das wird immer sehr stark von der eigenen Satzung abhängen und dem jeweiligen Bundesland. Gegebenenfalls sollten die Stiftungen versuchen, Klarstellungen in der Satzung noch vor dem 1. Juli 2023 vorzunehmen. Ich würde aber davon abraten, in Aktionismus zu verfallen. Natürlich sollte man sich mit den neuen Regelungen auseinandersetzen. Stiftungen sollten aber jetzt nicht unnötige Änderungen vornehmen oder sich von den Stiftungsbehörden dazu drängen lassen, Anpassungen vorzunehmen. Im Hinblick auf das neue Recht ist vieles noch unklar, und eine Stiftung sollte nicht im vorauseilenden Gehorsam individuelle Satzungsregelungen aufgeben, weil sie vermeintlich gegen die neuen gesetzlichen Vorschriften verstoßen. Stifter werden die möglichen Rechtsformen für ihr zumeist philanthropisches Anliegen vergleichen. Zur rechtsfähigen Stiftung mit den neuen Rahmenbedingungen gibt es ja auch Alternativen wie die gemeinnützige GmbH, die nichtrechtsfähige Stiftung, eventuell auch den eingetragenen Verein.

Ist die Entscheidung für eine rechtsfähige Stiftung gefallen, stellt sich aufgrund der weiterhin unterschiedlichen Landesrechte die Frage nach dem günstigsten Ansässigkeitsregime. Stifter, die eine Stiftung von Todes wegen angeordnet und dabei vorgesehen haben, dass das Stiftungsvermögen der Dauertestamentsvollstreckung unterliegt, sollten ihre letztwillige Verfügung unbedingt noch einmal überprüfen lassen. Denn die Dauertestamentsvollstreckung über Stiftungsvermögen wird in Zukunft als unzulässig angesehen. Und zu guter Letzt sollten die Stifter schauen, dass sie ihre privaten Verhältnisse nicht zu ausführlich in der Satzung schildern, wenn sie nicht möchten, dass diese öffentlich werden. Denn in dem neuen Stiftungsregister sollen die Satzungen für jedermann einsehbar sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Katharina Gollan
ist Rechtsanwältin bei POELLATH, mit den Schwerpunkten Stiftungen und Nonprofit-Organisationen. Als Mitglied des Gesetzgebungsausschusses Erbrecht des Deutschen Anwaltvereins war sie Berichterstatterin für die Reform des Stiftungsrechts. Sie ist Mitautorin des bei C.H.BECK erscheinenden Handbuchs Richter, Stiftungsrecht.

Das Interview erschien zuerst in beck-aktuell - DAS MAGAZIN. Jetzt kostenlos abonnnieren.

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