„Die Wirtschaftsmediation ist ein großes und lukratives Geschäftsfeld“

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 29.08.2022
Rechtsgebiete: Verlag|2356 Aufrufe

19 Jahre ist es her, als Prof. Dr. Risse, LL.M., Rechtsanwalt und Mediator, die erste Auflage seines Buches "Wirtschaftsmediation" geschrieben hat. Seitdem hat sich viel verändert. Die Wirtschaftsmediation steckt längst nicht mehr in den Kinderschuhen. Ganz im Gegenteil. Für Risse ist klar: „Die Zahl der Mediationsverfahren wird steigen und Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte werden davon profitieren.“ Grund genug also für die zweite Auflage seines Werks –  und für ein Gespräch über Mediation.

Die Idee der Wirtschaftsmediation ist es, Konflikte rascher und effizienter zu lösen als in einem Gerichtssaal. Funktioniert das?

Prof. Dr. Risse: Ja, das funktioniert sehr gut. Weit über die Hälfte der Wirtschaftskonflikte, die in einer Mediation adressiert werden, werden dort auch gelöst. Und gerade bei größeren Konflikten zeigen die Statistiken der staatlichen Gerichte und Schiedsinstitutionen, dass auch dort etwa die Hälfte der Konflikte am Ende vergleichsweise im Verhandlungsweg beigelegt werden – allerdings erst sehr spät, nachdem die Parteien schon viel Geld, Zeit und Nerven in den Prozess investiert haben. Die Parteien müssen sich dann fragen lassen, warum sie diese Verhandlungslösung nicht gleich nach Ausbruch des Konfliktes gefunden haben. Denn die Fakten und die Rechtslage haben sich seitdem ja nicht geändert. Die Mediation kann hier helfen.

Wie funktioniert das?

Risse: Mediation ist zunächst professionelle Verhandlungsführung. Der Mediator sorgt als neutraler Dritter dafür, dass die Partien optimal und lösungsorientiert verhandeln. So wird sichergestellt, dass vorhandene Einigungsspielräume gefunden und neue Einigungsspielräume gemeinsam erarbeitet werden. Der Mediator ist hier der Verhandlungsprofi, der sich ganz auf die Optimierung des Verhandlungsprozesses konzentriert und die Parteien entsprechend anleitet.

Was ist der Vorteil zu einem Anwaltsvergleich, der ebenfalls ohne Gerichtssaal funktioniert?

Risse: Bei anwaltlichen Vergleichsgesprächen und einem Anwaltsvergleich fehlt der neutrale Dritte, der die Verhandlungen moderiert. Das führt auch zu qualitativen Unterschieden im Verhandlungsprozess. Die Anwälte sind und bleiben Interessenvertreter. In dieser Funktion müssen sie sich in den Vergleichsverhandlungen gleichzeitig um den Inhalt des Streits und die Art und Weise der Vergleichsverhandlung kümmern. Anwälte sind aber keine Multitasker, die den schwierigen Inhalt des Konfliktes gleichzeitig mit einem optimierten Prozess meistern können. Das Ergebnis dieses Dilemmas ist, dass sich anwaltliche Vergleichsgespräche doch schnell wieder auf die Rechtspositionen und juristischen Argumente konzentrieren. Das im optimierten Verhandlungsprozess liegende Wertschöpfungspotential bleibt so ungenutzt.

Warum ist die Wirtschaftsmediation ein lukratives Geschäftsfeld mit Zukunft?

Risse: Die Wirtschaftswelt wird immer komplexer und international vernetzter. Daraus resultieren Konflikte, die gelöst werden müssen. Und da die Wirtschaftswelt auch immer schnelllebiger wird, ist die Lösung über das schwerfällig-langwierige Gerichtsverfahren immer seltener eine Option. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist hier etwas besser, aber auch weit entfernt von den Parteierwartungen an eine effiziente Konfliktlösung. Die Wirtschaftsmediation hat hier Effizienzvorteile und ein deutlich höheres Wertschöpfungspotential. Wenn die Unternehmen das erkennen – wie etwa in den USA oder in Großbritannien –, wird die Zahl der Mediationsverfahren rasch und drastisch steigen. Und davon profitieren professionelle Mediatoren ebenso wie mediationskundige Rechtsanwälte, die ihre Mandanten in solchen Verfahren begleiten. Hier tut sich ein großes und lukratives Geschäftsfeld auf.

Sie sind Autor eines Buchs zum Thema. 19 Jahre nach der ersten Auflage erscheint nun eine zweite Auflage, bei der im Prinzip nur der erste und letzte Satz gleich geblieben sind. Was waren die Gründe für die komplette Neubearbeitung?

Risse: Vor 19 Jahren steckte die Mediation in Deutschland noch in den Kinderschuhen, es gab wenig praktische Erfahrungen. Deshalb konzentrierten sich auch Fachbücher in diesem Bereich auf ziemlich theorielastige Ausführungen, die in den USA entwickelte Techniken und Verhandlungsmodelle auf den deutschen Wirtschaftsraum übertrugen. Diese Ausgangslage hat sich grundlegend verändert. Auch in Deutschland sind inzwischen zahlreiche Mediationsverfahren durchgeführt und Mediationstechniken so praktisch erprobt worden. Dieser drastisch erhöhte Praxisbezug bildet sich in der kompletten Neubearbeitung des Buches ab. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber tätig geworden ist. Er hat nicht nur ein Mediationsgesetz erlassen, sondern auch Anforderungen an die Ausbildung zum „zertifizierten Mediator“ definiert. Auch um den vorgeschriebenen Mindestinhalt dieser Ausbildung lückenlos abzubilden, war eine Neubearbeitung des gesamtes Buches unumgänglich.

Mehr Informationen zum Buch Risse, Wirtschaftsmediation.

(Interview: Tobias Fülbeck)

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