Wir präsentieren: Den Loser, der Eure Kinder erschossen hat
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In den USA findet nach dem Anschlag auf die Premiere des Batman-Films eine Debatte statt, die auch wir schon geführt haben. Nach dem Mordanschlag auf eine Schule in Winnenden habe ich in einem meiner ersten Beiträge im Beck-Blog ein "Schulamokveröffentlichungsgesetz" vorgeschlagen. Mit diesem Gesetz sollte es Redakteuren und Verlagen unter Strafandrohung verboten sein, über solche Attentate unter Identifizierung des Täters zu berichten. Der provokante, aber durchaus ernst gemeinte Vorschlag sollte auf den Aspekt hinweisen, den viele Fachleute für nicht zu vernachlässigen halten: In solchen Anschlägen auf Schulen (oder auch anderen Einrichtungen) steckt im Kern die auch durch die Medienberichterstattung verursachte Gefahr einer kulturellen Entwicklung hin zum Wunsch nach Berühmtheit, egal unter welchen Vorzeichen. Eine solche Berühmtheit ist relativ leicht zu erlangen durch ein Verbrechen großen oder größten Ausmaßes. Wohl mit diesem Ziel hat sich der Täter die Premierevorstellung eines weltweit seit Monaten beworbenen Films ausgesucht - hier war die maximale Aufmerksamkeit zu erlangen. Ein (bislang nicht quantifizierbarer) Faktor, der bei solchen Taten - neben gravierenden Persönlichkeitsstörungen oder gar Psychosen - eine Rolle spielen könnte, ist die Nachahmung bzw. der Wunsch nach Übertreffen vorheriger ähnlich gelagerter Attentate.
In den USA ist jedenfalls in einigen Zeitungen die Debatte, die wir nach Winnenden (und nach Ansbach) geführt haben, aufgebrochen: Ist es richtig, den Tatverdächtigen mit Bild und Namen - schon Minuten nach der Tat - zu identifizieren und weltweit zur wirtschaftlich ausgebeuteten Nachricht zu machen, oder befördert man gerade damit die Gefahr von Nachahmungen?
Auszug (J.J.Gould in The Atlantic):
You don't have to have a firm stake in debates over the dynamics of "copycat killings" (which is tricky terrain with slippery slopes) to conclude that when the media sensationalize an act of mass killing, they're likely giving the killer something he wants, possibly the thing he killed for, and plausibly meanwhile giving another potential killer more of an incentive than he'd otherwise have to realize his potential.
Vorschläge in dieser Debatte sind weit von einer strafrechtlichen Lösung, wie ich sie erwogen habe, entfernt. Aber anders als der Gouverneur von Colorado, der den Attentäter nur "suspect A" nennen will (das klingt fast putzig in einer Zeit, in der die Amerikaner den vollständigen Namen inzwischen besser kennen als den ihres Präsidenten), greift Gould den Vorschlag eines Kommentators auf, man solle sich darauf einigen, bei jeder Erwähnung und bei jedem Bild des Tatverdächtigen darunter zu schreiben: "Loser", um jedenfalls die Assoziation "Hero" subtil zu hintertreiben:
Just employ the qualifier 'LOSER' every time their names are mentioned. So for example a picture caption would read "LOSER joe blow," etc. Maybe news media should also include an apology alongside each picture, like, "We are sorry to have to show you this LOSER picture, but ..."
Einen ganz anderen Standpunkt nimmt John Cassidy im New Yorker ein: Die Namen der Täter bzw. Verdächtigen seien schnell wieder vergessen. Die Debatte um die Medienberichterstattung lenke nur ab von der eigentlichen Debatte, die in den USA geführt werden müsse: Über die Verschärfung des Waffenrechts, die alle Politiker scheuen:
In Britain, the name Michael Ryan—he shot sixteen people in 1987—is associated with a ban on semi-automatic weapons. In Canada, the name Marc Lépine—he shot fourteen women in 1989—is tied to gun laws that required gun owners to undergo a thorough background check, register their weapons, and take a course in firearms safety. Here, then, is the second and most important reason we shouldn’t erase Holmes from the record. As long as his name and his heinous acts live on in the public consciousness, there may be some chance of reform.
Ich glaube hingegen, dass die Erinnerung an den Namen des Täters dafür nicht erforderlich ist, es genügt die Örtlichkeit. So ist in der Diskussion in den USA übrigens "Winnenden" ein wichtiges Stichwort.
Links zu lesenswerten Beiträgen in der Debatte:
"This man is a Loser" in: The Atlantic
"How the Media shouldn´t cover a mass murder" in: New Statesman
Charlie Broker (BBC) 2009 zur Aufbereitung von Winnenden (youtube)
Why Obama shouldn´t write J. H. out of history in: The New Yorker