Zum Schul“amoklauf“ an einem Ansbacher Gymnasium (mit Update 16.30 Uhr)

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 18.09.2009„Schon wieder“ – war natürlich der erste Gedanke beim Lesen dieser erschütternden Nachricht und „schon wieder“ beginnt auch die Ursachensuche und – unter Fortlassen dieses logisch ersten Schritts – werden eine Reihe von alt bekannten Präventionsvorschlägen gemacht.

Einige Gedanken dazu:

Dieser Angriff auf die Schule hat phänomenologisch wenig zu tun mit dem tödlichen Angriff auf Dominik Brunner an der Münchener S-Bahn-Station. Solche Stimmen, die unter dem gemeinsamen Label „Jugendgewalt“ meinen, etwas Sinnvolles zur Debatte beitragen zu können, irren sich.

 

  Der so genannte Amoklauf in Ansbach, korrekter spricht man von einem Schulmassaker, hat natürlich Übereinstimmungen mit früheren Ereignissen, etwa den von Winnenden und Erfurt. Aber diese Übereinstimmungen können leider kaum dazu genutzt werden, eine vernünftige Präventionsstrategie gerade gegen Schulamokläufe zu errichten. Einsamkeit, Schulversagen, Mobbing, Waffenvernarrtheit, apokalyptische Phantasien, exzessives Computerspielen, all das ist viel zu verbreitet unter männlichen Jugendlichen, und die hier besprochenen Taten viel zu selten, als dass man hier präventiv per Checkliste die eventuell künftigen in dieser Weise gefährlichen Jugendlichen sicher erkennen könnte. Das bedeutet nicht, dass nicht die eine oder andere Präventionsstrategie – etwa der Einsatz von Schulpsychologen (nicht zugleich Lehrern) – auch gegen solche Ereignisse sinnvoll wäre.

 

  Ich bin nach wie vor der Ansicht (auch wenn es sich im vorliegenden Fall nicht bewahrheitet), dass der Umgang der Presse mit diesen Taten eine Rolle für die Nachahmung spielen kann. Eine Häufung solcher Vorfälle in den vergangenen Jahren spricht für eine gewisse „Modeerscheinung“. Dass erneut die Bild-Zeitung ein unverpixeltes Bild des Täters auf die Titelseite bringt, halte ich für fahrlässig und für moralisch inakzeptabel. Was ist eigentlich aus dem Vorschlag der SPD geworden, den sie in Übereinstimmung mit den trauernden Angehörigen von Winnenden formulierte? Nichts, soweit ich weiß. (abgesehen davon, dass die anderen Parteien nicht einmal einen solchen Vorschlag gemacht haben)
 

Die Angst vor dem Schulbesuch bei Eltern und Schülern ist nach dieser Nachrichtenlage nachvollziehbar, aber wenig berechtigt: Es ist immer noch wesentlich wahrscheinlicher, auf dem Schulweg im Verkehr zu verunglücken, als in der Schule durch Gewalttaten solcher Art verletzt zu werden. Andererseits: Ebenso wie im Straßenverkehr kann es auch in der Schule geboten sein, mehr aufeinander zu "achten" - im positiven Sinn.
 

  Möglicherweise gibt der Täter, der überlebt hat, dieses Mal Auskünfte über seine Motive. Aber es wäre nicht der erste Überlebende wie Kollege Pfeiffer annimmt: "Das ist der erste überlebende Amokläufer, an den ich mich überhaupt erinnern kann", sagte er dem TV-Sender "n-tv". Georg R. habe die Chance, "uns Auskunft zu geben, was in ihm vorgegangen ist".(Quelle). Ob es wirklich weiterhilft, ist fraglich, wenn tatsächlich eine psychische Erkrankung mitursächlich sein sollte.  Dies war bei der Schülerin in St. Augustin, wie ich mich erinnere, wohl auch der Fall.

 

  Links (im beck-blog) siehe:

Schulamokveröffentlichungsgesetz 

  Deutschland trauert (Winnenden) 
  St. Augustin - verhinderter Angriff 
  Amoklauf und Killerspieldebatte

  Update: Erst jetzt sehe ich, dass die Bildzeitung auf ihrer Website sogar ein Video platziert hat, in dem (außer Namensnennung) alle Identifizierungsdetails genannt werden, einschließlich Abbildung seines Wohnhauses. Es wird auch ein Experte interviewt, dessen Aussage, es ginge den Tätern um "soziale Anerkennung" ganz richtig ist. Dass die Bildzeitung mit ihrer "Berichterstattung" diese Anerkennung und damit den Tätern ein Motiv geradezu liefert, ist diesen "Journalisten" nicht aufgegangen. Nun wird mir sicherlich wieder vorgeworfen, ich wolle mit meinem Vorschlag (ein Verbot der Identifizierung solcher Täter)  die Pressefreiheit abschaffen.    

 

 

 

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7 Kommentare

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Traurig, dass Pfeiffer immer noch als sogenannter "Experte" befragt wird, er betreibt seit Jahren eine beinahe fanatische Hetze gegen "Killerspiele(r)" und wird sicher auch diesen Anlaß wieder in seinem Sinne aussschlachten. Seine "Studien" zu diesem Thema sind höchst umstritten, da er normalerweise seine Quellen nicht veröffentlicht.

 

Lesenswert hierzu:

 

“Sie, Sie, Sie sind ja ein richtiger Ego-Shooter”:

http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Pfeiffer-Ich-bin-ein-Ego-Shooter/...

 

sowie der Wikipedia-Artikel über Pfeiffer:

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Pfeiffer

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Sehr geehrte Frau Nym,

auch wenn ich mit Herrn Pfeiffer in vielen Fällen in der Sache nicht übereinstimme, so sollte man doch mit Pauschalurteilen vorsichtig sein. Christian Pfeiffer hat einige verdienstvolle Studien (jenseits der Computerspieldebatte) durchgeführt. Dass, wer in der Öffentlichkeit so häufig (vielleicht etwas zu häufig) auftritt, auch einmal daneben liegt, und sich in der Sache viele Gegner schafft, ist auch klar. Jedenfalls sind die von Ihnen bereitgestellten links keineswegs besonders aufschlussreich. Da beschwert sich Gunnar Lott seitenweise über die Schwester von Herrn Pfeiffer, weil sie anderer Auffassung ist und seine Ansprüche an Wisenschaftlichkeit nicht erfüllt. (was, außer Verwandtschaft wird hier Herrn Pfeiffer genau vorgeworfen?). Und was (hinsichtlich persönlicher Wertungen bei Biographien) von wikipedia zu halten ist, dürfte auch klar sein.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

Sehr geehrter Herr Prof. Müller,

 

vielen Dank für den Hinweis, ich werde mich zur Bildung eines ausgeglicheneren Bildes über Herrn Pfeiffers sonstige Studien informieren.

 

Mit freundlichen Grüßen,

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

 

Ihrem Gedanken, dass die mediale Darstellung durchaus einen Anreiz für Nachahmer/Trittbrettfahrer darstellt, stimme ich voll zu. Passend hierzu ein Link, der inhaltlich noch von Winnenden handelt: http://www.youtube.com/watch?v=GQD6zedOcrI

Leider wird genau dieses Argument von den Medien unterschlagen.

 

Gespannt bin ich aufgrund der Umstände der Taten in Sankt Augustin und nun Ansbach, welche (kurzfristigen/vorschnellen) Lösungen die Politik (vielleicht noch als Wahlkampfthema) aufbietet, um dem Argument der "tatenlosen Politik" zuvorzukommen. Zumindest bei den beiden vorgenannten Taten dürfte aufgrund der Bewaffnung eine Verschärfung des Waffengesetzes (was ich auch bei Schusswaffengebrauch durch den Täter sehr kritisch sehe) keine Option sein.

 

Interessant wäre auch zu wissen, warum -wenn ich mich recht erinnere- keine der Amoktaten in einer Hauptschule stattfanden. Deren Schülern wird ja im Vergleich zu anderen Schulformen die niedrigere Hemmschwelle und höhere Gewaltbereitschaft attestiert .

 

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Sehr geehrter Herr studiosus,

danke für Ihren Link, ein sehr sehenswertes Video. Der interviewte Prof. Kersten bringt es auf den Punkt: Es ist die dramatisierende Medienberichterstattung, die mit zu diesen Taten beiträgt.

Ich möchte dazu noch einmal aus dem Brief der trauernden Angehörigen von Winnenden zitieren, den damals auch die Bild-Zeitung veröffentlicht hat:

"Auf nahezu jeder Titelseite finden wir Namen und Bild des Attentäters. Diese werden Einzug finden in unzählige Chatrooms und Internet-Foren. Eine Heroisierung des Täters ist die Folge", hieß es in den Schreiben. Die Unterzeichner forderten, dass bei Gewaltexzessen wie in Winnenden die Medien dazu verpflichtet werden müssen, den Täter zu anonymisieren. "Dies ist eine zentrale Komponente zur Verhinderung von Nachahmungstaten."

Die Medienverantwortlichen (allen voran der "Christ" Kai Diekmann)  haben nichts daraus angenommen oder gelernt.

Zur Frage Hauptschule/weiterführende Schule: Dies kann - da es insgesamt doch eine geringe Fallzahl ist - durchaus ein "Zufall" sein. Ich habe aber oben auch schon einleitend auf die ganz unterschiedliche Phänomenologie von Jugendgewalt hingewiesen. Es gibt einerseits bei manchen Jugendlichen eine Gewalt, die zu einem fast normalen Verhaltensschema im Alltag dieser Personen gehört,sie "kommunizieren" in dieser Weise, oft, weil  Gewalt schon in ihrer Kindheit zu ihrem Alltag gehörte. Auch agieren sie häufig zu zweit oder in Gruppen. Andererseits finden sich bei den Schulamokfällen meist solche Täter, die bislang ihre Aggressionen wenig oder gar nicht nach außen richteten. Selten liegen Vorstrafen oder andere Auffälligkeiten vor, häufiger handelt es sich um Einzelgänger, die sich bisher nicht oder kaum einmal gewehrt haben.

Möglicherweise sind diese Formen von Gewalt nicht gleichverteilt in den verschiedenen Schulformen. Ich muss aber einräumen, dass dies eine noch zu prüfende Hypothese ist und - wie gesagt - die Verteilung kann auch Zufall sein.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

Auf Spiegel-Online heißt es:

"Viele der Anregungen - von festangestellten Psychologen an jeder Schule bis zu besseren Türsicherungen - seien zwar sinnvoll, meint Jens Hoffmann vom Institut Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt, die entscheidende Frage sei aber: "Haben Schulen ausgebildete Krisenteams? Um die Warnsignale zu erkennen, die es vor jedem Amoklauf gebe, müssten Lehrer geschult und mit Polizei und Psychologen vernetzt werden. Oft würden die Warnsignale nicht ernst genommen oder es sei nicht klar, an wen man sie weitergeben solle. " (Quelle)

Ich verstehe, dass Herr Hoffmann seine Idee der Krisenteams an jeder Schule fördern möchte. Aber, trotz aller Betroffenheit: Krisenteams auszubilden für das sehr, sehr seltene Ereignis eines Amoklaufs, wäre einfach zu aufwändig. Und wer einmal versucht hat, Polizei und Verwaltung nur davon zu überzeugen, für einen sichereren Schulweg einen Zebrastreifen oder eine Ampel vor einer Schule einzurichten (denn dafür ist oft die ratio Fußgängerverkehr/Autoverkehr im Tagesverlauf zu gering), der weiß, dass die Vorstellung, in jeder Schule Krisenteams zu installieren (also mehrere Lehrer für die Prävention und Erstreaktion auf Amokläufe zu schulen und regelmäßig nachzuschulen), für den mit 99,99 % Wahrscheinlichkeit nie eintretenden Fall einfach unrealistisch ist. Abgesehen davon erfassen die Checklisten Hoffmanns viel zu viele Fälle und die "entscheidende Frage" ist dann nämlich, aus den zu vielen Hinweisen auf Warnsignale diejenigen herauszufiltern, die wirklich ernst zu nehmen sind. Die Warnsignallisten Hoffmanns sind retrospektiv entstanden und können im Nachhinein gute "Vorhersagen" treffen, aber dass sie auch flächendeckend prospektive, also vorausschauende Vorhersagen ermöglichen, daran gibt es große Zweifel.

 

 

Wenn ich höre das Täter durch die Medien heroisiert werden, muss ich gleich an das Hörbuch "Fragmente" von Stefan T. Pinternagel zu denken. 

Ich kann es an dieser Stelle nur empfehlen. Einfach um die andere Seite der Medaille zu sehen. Es geht zwar speziell um einen Serienkiller, dennoch denke ich das viele dieser Personen der Anomie entspringen.

 

 

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