Tanken ohne zu zahlen - ein beliebter "Volkssport"? Und welcher Straftatbestand wird da eigentlich erfüllt?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Nach einer gestern veröffentlichten Studie von Auto.de soll es durch Selbstbedienungstanken ohne zu zahlen zu weit höheren Schäden kommen als nach der Polizeistatistik anzunehmen sei, nämlich ca. 30 Millionen Euro im Jahr. Es liege ein großes Dunkelfeld vor, da viele Tankstellenpächter auf Strafanzeige verzichteten, weil sie nicht über eine Videoüberwachung verfügen, die eine Identifizierung des Fahrzeughalters ermöglicht. So sei eine Strafanzeige aussichtslos und sie unterbleibe. Allerdings beruht die hohe Anzahl solcher Delikte im Dunkelfeld auf einer Schätzung des Verbands der Tankstellenpächter, nicht auf empirischer Forschung.
Polizeistatistisch gebe es jedenfalls einen „Trend“ zu immer häufigerem deliktischen Gratistanken:
"Noch nie haben in Deutschland so viele Menschen ihr Fahrzeug betankt und vorsätzlich nicht gezahlt wie 2012. Hier setzt sich ein Trend fort. Von 2011 zu 2012 stieg die Anzahl der Betrugsdelikte um 5,5%. Von 2010 zu 2011 waren es sogar 10%. Insgesamt wurden in Deutschland im vergangenen Jahr fast 90.000 (89.769) Tankbetrugs-Delikte bei der Polizei angezeigt." (Quelle: Auto.de)
Zu den Einzelheiten, zu der auch ein Ranking von Städten gehört, in denen das Phänomen besonders häufig bzw. selten auftritt, sei auf die Quelle verwiesen.
Kriminologisch sei vorausgeschickt, dass dieses Deliktsphänomen einen typischen Anlass in der Art des Aufbaus der Selbstbedienungstankstellen findet: Dem Kunden wird gestattet, das Benzin einzufüllen, ohne vorab zu zahlen oder sich zuvor auszuweisen - das ergibt die "Tatgelegenheit". Das Risiko des Zahlungsausfalls wird von den Tankstellen bewusst unter Ersparung des Kontrollaufwands eingegangen, die strafrechtliche Verfolgung der Täter auf die Polizei bzw. den Steuerzahler verlagert. Während die Kriminalpolizei jedem Hauseigentümer oder Wohnungsinhaber „rät“, geeignete Abwehrmaßnahmen gegen Einbruchdiebstahl zu treffen, wird es als völlig normal angesehen, dass Tankstellenpächter ihren teuren Kraftstoff zum Betanken des späteren Fluchtfahrzeugs offen bereitstellen. In den meisten anderen Ländern (z.B. USA, Italien) ist es eher unüblich, dass man ohne vorherige Zahlung bzw. Identifikation durch Kreditkarte sein Fahrzeug betanken darf (Quelle).
Strafrechtsdogmatisch ist interessant, welcher Deliktstatbestand überhaupt verwirklicht wird, wenn jemand tankt und mit dem betankten PKW (vorsätzlich) davonfährt ohne zu bezahlen.
In der heutigen FAZ heißt es auf der Titelseite: „Steigende Zahl von Benzin-Diebstählen“, im Bericht auf S. 11 heißt es dann aber „Tankbetrug grassiert“. Auch auf Auto.de heißt es mal „Spritklau“, meist aber „Tankbetrug“. Was denn nun: Diebstahl oder Betrug?
Ich denke, dass man weder den für den Diebstahl vorausgesetzten Gewahrsamsbruch noch – entgegen der insofern verfehlten Rechtsprechung des BGH – eine für einen Betrug erforderliche irrtumsbedingte Vermögensverfügung annehmen kann, auch nicht versuchsweise.
Worin sollte die Vermögensverfügung liegen? Etwa in dem lt. Rechtsprechung anzunehmenden „Weitertankenlassen“ nach der irrtümlichen Wahrnehmung, der Kunde sei ein ordentlicher Kunde? Und womit konkret soll dieser Irrtum ausgelöst worden sein? Eine irgendwie geartete Erklärung des Kunden ist doch gar nicht erforderlich: Der Kunde tankt. Die Annahme, der Gewahrsamswechsel beruhe auf einer irrtumsbedingten Verfügung ist eine reine Fiktion. Niemand prüft an der Tankstelle, ob der tankende Kunde ehrlich ist, bevor man ihn (weiter) tanken lässt. Eine Verfügung (Eigentumsübertragung) erfolgt erst an der Kasse. Aber dort tauchen die „Kunden“, um die es hier geht, ja gar nicht auf. Sie fahren einfach weg mit dem fremden Benzin. Und manifestieren damit ihren unberechtigten Zueignungswillen. Sie erfüllen damit bei Vorsatz den Tatbestand des § 246 StGB, also eine Unterschlagung. Da sie sich also weder über eine Gewahrsamsschranke hinwegsetzen, noch jemanden täuschen müssen, begehen sie geringeres Unrecht als der Diebstahls- und der Betrugstatbestand voraussetzen.
Zur früheren ausführlichen Diskussion im Beck-Blog bitte den Beitrag des Kollegen Krumm aus dem Jahr 2012 klicken.