Winnenden - Hauptverhandlung gegen den Vater allein wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Ab heute findet vor dem LG Stuttgart die Hauptverhandlung gegen den Vater des Schülers statt, der vor anderthalb Jahren ausgehend von seiner Schule in Winnenden insgesamt 15 Menschen und sich selbst tötete. Dabei benutzte er eine Waffe, die sein Vater - wie dieser eingeräumt hat - unverschlossen aufbewahrte.
Von der umfassenderen Anklage, die auch fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung einschloss, ist momentan nur der Vorwurf des Verstoßes gegen das Waffengesetz übrig geblieben (update in Kommentar #3). Allerdings wäre zur Aufklärung dieses Vorwurfs kaum eine Hauptverhandlung mit 27 Terminen nötig, insbesondere ist der Angeklagte insoweit ja auch geständig. Wie zutreffend berichtet wird, ist auch eine Erweiterung des Vorwurfs im Verlauf der Hauptverhandlung denkbar (§ 264 Abs. 2 StPO)
Es geht also - trotz der beschränkten Anklage - faktisch schon jetzt um mehr. Es geht auch darum, den verletzten Opfern und den Angehörigen der Getöteten durch die Hauptverhandlung eine Möglichkeit zu geben, Winnenden zu verarbeiten. Ob dies (aus psychologischer Sicht) gelingen kann durch ein Strafverfahren gegen den Vater, der selbst durch Tat und Tod seines Sohnes schwer betroffen ist, erscheint mir allerdings fraglich.
Zu den Rechtsfragen (vgl. auch schon früher hier im Blog und hier:
Wer seine Waffe (und Munition) offen liegen lässt und damit einem anderen die Möglichkeit gibt eine Strafat zu begehen, bei dem stellt sich die Frage der objektiven Zurechnung.
Diese ist, bei fahrlässiger Veranlassung der vorsätzlichen Tat eines anderen deshalb fraglich, weil dieser andere ja grundsätzlich eigenverantwortlich handelt und deshalb die entscheidende Erfolgsursache setzt. Allerdings lässt sich die Zurechnung im vorliegenden Fall nicht einfach durch den Bezug auf die Eigenverantwortlichkeit des jungen Täters verneinen:
a) Beim Veranlasser handelt es sich um den Vater, beim "anderen" um dessen minderjährigen Sohn. Sowohl der Jugend-Status des Täters als auch die Rolle des Vaters als Erziehungsberechtigter sprechen gegen eine völlige Eigenverantwortung.
b) Selbst bei erwachsenen eigenverantwortlich handelnden Dritten kann dann eine strafbare fahrlässige Mitwirkung gegeben sein, wenn es sich beim Dritten um einen "erkennbar Tatgeneigten" handelt (Beispeil: fahrlässiger Weitergabe eines Messers an einen an einer Schlägerei Beteiligten). Dies könnte hier vorliegen, wenn sich bestätigt, dass es gewisse Anzeichen für eine Gewalttat gab, die der Vater hätte erkennen müssen.
c) Das Waffengesetz dient mit seinen Aufbewahrungsvorschriften gerade dazu, Missbräuche mit Schusswaffen durch Unberechtigte zu verhindern. Insofern vermindert nach einigen Ansichten der Schutzbereich der Norm den Einwand der Eigenverantwortlichkeit
Nach den Presseinformationen ist allerdings die Anklage wegen fahrlässiger Tötung deshalb verneint worden, weil die Tat möglicherweise auch bei ordnungsgemäßem Einschluss der Waffe begangen worden wäre. In der strafrechtlichen Terminologie ist dies der Einwand des mangelnden Pflichtwidrigkeitszusammenhangs: Eine Zurechnung des Erfolgs entfällt, wenn derselbe Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre. Der jugendliche Täter habe die Zahlenkombination des Waffenschranks gekannt und er habe (höchstwahrscheinlcih) auch an dem betreffenden Morgen Zugang dazu gehabt, da die große Menge Munition wahrscheinlich aus diesem Waffenschrank stammte (Quelle). Also: Hat er sich die Munition aus dem Schrank besorgt, dann hätte er dort ohne Weiteres auch die dort verschlossene Waffe entnehmen können. Allerdings ist dann noch zu fragen, ob der Vater nicht wusste oder hätte erkennen müssen, dass sein Sohn die Kombination kannte.
Ohnehin wäre als weitere Hürde die subjektive Fahrlässigkeit zu prüfen: Hat der Vater (die obj. "Erkennbarkeit" der Tatneigung einmal unterstellt) diese denn tatsächlich konkret erkennen können, war er über die psychischen Probleme soweit informiert, dass er mit einem solchen Verhalten rechnen konnte oder gar musste? Dies ist schon deshalb fraglich, weil eine solche Tat (glücklicherweise) bisher eine seltene Ausnahme ist.