Das hat sich in den vergangenen Tagen schon abgezeichnet: Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen den Vater des Amokläufer von Winnenden wegen fahrlässiger Tötung

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 16.03.2009

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Zur Begründung hieß es, der Hobby-Schütze habe die Tatwaffe im elterlichen Schlafzimmer anstatt in einem Waffentresor aufbewahrt (= Ordnungswidrigkeit nach § 53 Abs. 1 Nr. 19 WaffG, die mit einer Geldbuße bis zu 10.000 € geahndet werden kann), obwohl er vermutlich gewusst habe, dass sein Sohn an Depressionen litt.

Zwischenzeitlich gibt es laut FAZ vom 16.3.2009 Nr. 63 S.9 "sichere Anhaltspunkte" dafür, dass der Vater nicht nur die Tatwaffe "Beretta" sondern auch die dazu passende Munition unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrt hatte. Damit hätte der Vater, was den Tatvorwurf der fahrlässigen Tötung betrifft, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen. Für einen Fahrlässigkeitsvorwurf ist aber insbesondere noch Voraussetzung, dass der tatbestandlichen Erfolg objektiv voraussehbar war (in der wissenschaftlichen Diskussion nicht unstreitig). Objektiv voraussehbar ist, was ein umsichtig handelnder Mensch aus dem Verkehrskreis des Täters unter den jeweils gegebenen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung in Rechnung stellen würde. Die Voraussehbarkeit kann nach der Rechtsprechung sehr weit gehen, wenn derjenige, der ein ungesichertes Auto auf der Straße stehen lässt, damit rechnen muss, dass ein Unbefugter damit fährt und einen tödlichen Unfall verursacht. Im vorliegenden Fall wird es maßgeblich darauf nakommen, was der Vater vom Krankheitsbild seines Sohnes wusste.

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10 Kommentare

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In den Interviews der letzten Tage wurde von einem "Freund" des Amoktäters übrigens auch schon behauptet, dass der Amokläufer bereits in der Vergangenheit Zugang zur besagten Schusswaffe hatte und sie auch schon diesem Freund gezeigt hat.

Vermutlich hat diese Aussage wohl den letzten Punkt zum Entschluss der Anklage gegeben.

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Ist es vorhersehbar, dass der Sohn die Waffe nimmt und Menschen erschießt?

Könnten Sie mir bitte die Fundstelle zu dem Autofall geben? Vielen Dank schon mal dafür.

Grüße

 

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Hätte sich die (unterstellt) waffenunerfahrene Schwester des Tim K. im Schlafzimmer beim Hantieren aus Versehen in den Kopf geschossen, würde der Fahrlässigkeitsvorwurf gegen den Vater m.E. wohl durchgehen. 

Kann es den Vater dann entlasten, wenn er den Sohn in den Schusswaffengebrauch einweist, ihn wohl auch dafür begeistert und dessen Schiessneigung mit Softair-Waffen kennt?

Kann man sich auf die formale Position zurück ziehen, dass hier ein Dazwischentreten eines vorsätzlich Handelnden vorliegt?

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Herr/Frau BBock, Herr/Frau shabazz

ein grundsätzliches Regressverbot wird von der h.M. ohnehin nicht mehr vertreten, d.h. es gibt also mehrheitlich keine "formale Position", die beim Dazwischentreten eines vorsätzlich Handelnden eine Verantwortung für Fahrlässigkeit ausschließt.
Der "Vertrauensgrundsatz" besagt zwar, man müsse sein Verhalten nicht darauf einrichten, dass andere es zum Anlass von Straftaten nehmen, aber dieser Grundsatz hat vielfältige Einschränkungen. Insbesondere ist er wohl eingeschränkt, wenn beim Verhalten gegen Vorschriften verstoßen wird, die gerade eine solche Veranlassung fremder Straftaten verhindern sollen. Der Umgang mit und die Aufbewahrung von Waffen in Privathand ist aber nicht nur deshalb reglementiert, weil andere damit fahrlässig sich selbst schädigen oder Fremdschaden anrichten könnten, sondern auch das Risiko fremder vorsätzlicher Straftaten ist wohl vom Schutzzweck erfasst.
Für manche genügt dies schon, um eine Verantwortlichkeit zu bejahen (vgl. Frister AT 3. Aufl., Kap. 10 Rz. 14); Roxin dagegen (AT I, § 24 Rz. 33) etwa verlangt auch in solchen Fällen die Erkennbarkeit einer Tatneigung, da sonst kaum eine Grenze zu ziehen sei.

Es wird wahrscheinlich auf die Frage hinauslaufen, ob der Vater das Verhalten seines Sohnes (nicht unbedingt einen Amoklauf, aber generell eine fremdschädigende Verwendung der Waffe) hätte vorhersehen können. Dies aufzuklären ist im konkreten Fall Sache von Staatsanwaltschaft und Gericht.
Beste Grüße

Nachtrag:
Zitat aus OLG Stuttgart NStZ 1997, 190: "Gegenstände, die selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch erfahrungsgemäß Gefahren für die Rechtsgüter anderer mit sich bringen, bedürfen besonders sorgfältiger Sicherung; in aller Regel ergibt sich dies bereits aus Rechtsvorschriften... In all diesen Fällen an sich gefährlicher oder mißbrauchsgefährdeter Gegenstände führt die Verletzung der durch eine Rechtsvorschrift angeordneten besonderen Sicherungspflicht dazu, daß, wenn diese Gegenstände infolge mangelnder Sicherung durch den Garanten von Dritten zu Fahrlässigkeits- oder Vorsatztaten mißbraucht werden, der Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verletzung der Sorgfaltspflicht und der Straftat des Dritten hergestellt wird. So wird beispielsweise der Besitzer einer Waffe, der diese nicht ausreichend gegen unbefugten Gebrauch sichert, wegen fahrlässiger Tötung bestraft, wenn ein Dritter die Waffe an sich bringt und für einen Mord mißbraucht (vgl. S/S- Cramer 24. Aufl., § 15 Rn 154); ein Kraftfahrzeugbenutzer, der durch mangelnde Sicherung eines Kraftfahrzeugs die Unfallfahrt eines Dritten mit Körperschaden beim Unfallgegner fahrlässig ermöglicht, macht sich wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. fahrlässiger Tötung strafbar (vgl. BGH VRS 20, 282; OLG Hamm NJW 1983, 2456)."
Das leuchtet mir allerdings bei Waffen eher ein als bei Kraftfahrzeugen.

Hallo Herr Müller,

danke für die Antwort. Die Folge ist doch, dass die Vorhersehbarkeit durch den Rechtswidrigkeitszusammenhang indiziert wird. Dann ist das Erfordernis der Vorhersehbarkeit sinnlos.

Grüße shabazz (m) ;-)

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Herrn Prof. Müller danke ich für die Anmerkungen. Ich denke, dass der Schutzzweckgedanke hier ganz augenscheinlich greifen muss. Gerade für den speziellen Normadressatenkreis Waffen-"Besitzer" ist doch der vorgegebene Sorgfaltsmaßstab damit klar greifbar.

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Herr shabazz,
da solche Vorschriften ja gerade wegen vorhersehbarer Gefahren erlassen werden, könnte man annehmen, die obj. Vorhersehbarkeit ergebe sich von selbst. Und in manchen Fällen ist der Verstoß gegen die Vorschrift deshalb schon der entscheidende Filter.  "Sinnlos" ist das Merkmal objektive Vorhersehbarkeit deshalb noch nicht, weil die konkreten Situationen, in denen sich die von der Vorschrift implizierte abstrakte Gefahr realisiert,  sehr unterschiedlich sein können. Z.B. könnte eine Waffe bei einem Einbruch entwendet werden, bevor sie dann bei einer Tat verwendet wird etc.
Problematisch könnte hier sein, ob man die obj. Vorhersehbarkeit schon darin sieht, dass ein Jugendlicher im Haushalt ist, der sich für Waffen interessiert, oder ob man voraussetzen muss, dass eine "Tatneigung" (etwa psychischer Art) objektiv und subjektiv erkennbar war.
Die Rspr. scheint hier (siehe Eingangsstatement von Herrn v. Heintschel-Heinegg und Zitat OLG Stuttgart in #5) strenger zu sein als Teile der Literatur.

Hallo Herr Müller,

man kann sich gerne streiten darüber, welche Anforderungen man an die Vorhersehbarkeit stellt (Anwesenheit Jugendlicher im Haushalt/Tatneigung/o.ä.). Dann wäre das Erfordernis der Verhersehbarkeit auch nicht obsolet.

Wenn ich aber die Begründung des OLG Stuttgart lese, müsste danach konsequeter Weise auch bei Ihren Einbruchsbeispiel der Rechtswidrigkeitszusammenhang bejaht werden. Da nur darauf abgestellt wird, dass die Waffe nicht gesichert aufbewahrt wurde.

Selbst bei der OLG Hamm Entscheidung wurde der Schlüssel entwendet und der Rechtswidrigkeitszusammenhang bejaht weil der Schlüssel scheinbar nicht sicher aufbewahrt wurde. Um dann die Vorhersehbarkeit zu unterstellen.

Grüße

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