Anklage im Fall Winnenden - Fahrlässige Tötung durch Liegenlassen einer Schusswaffe
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Presseberichten (Beispiel) ist zu entnehmen, dass gegen den Vater des jugendlichen Täters von Winnenden nunmehr Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben werden soll.
Angehörige der Opfer dieses Geschehens erwarten sich von dem Prozess Antworten auf ihre drängenden Fragen nach Ursachen und Motiven für die Tat. In einem Interview mit der Zeitschrift Stern äußert die Mutter einer getöteten Schülerin sogar, dieser Prozess sei "überlebenswichtig". Man kann nur hoffen, dass die Erwartungen und hohen Ansprüche an das Verfahren, auch etwa dahingehend, wer der "Hauptschuldige" an dem Geschehen ist, in einer Hauptverhandlung nicht völlig enttäuscht werden.
Strafrechtsdogmatisch geht es bei der Frage, ob jemand, der seine Schusswaffe nicht ordnungsgemäß aufbewahrt, für eine damit begangene vorsätzliche Tat (mit)verantwortlich gemacht werden kann, um nicht abschließend geklärte Fragen der objektiven Zurechnung, genauer um die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen.
Heute wird zwar nur noch selten ein allgemeines Regressverbot vertreten (nach dem der Zurechnungszusammenhang durch das vorsätzliche Verhalten eines anderen unterbrochen werde), jedoch ist eine strafrechtliche Verantwortung für das vorsätzlcihe Verhalten Dritter wohl gesondert begründungspflichtig.
Hierzu ist zum einen darauf abzustellen, inwieweit eine solche Tat vom Schutzzweck der Sorgfaltsnorm erfasst ist. Dies lässt sich bei den Aufbewahrungsvorschriften für Schusswaffen und Munition sicherlich bejahen: Diese dienen nicht nur zur Verhütung von Unfällen, sondern auch zur Verhütung vorsätzlichen Missbrauchs der Waffen zu Straftaten (vgl. zur Thematik etwa Freund, MünchKomm zum StGB vor §§ 13 ff., Rn. 374 ff.).
Zum anderen wird es aber - auch im konkreten Fall - darauf ankommen, inwieweit das Verhalten des jugendlichen Täters für den Vater bzw. beide Eltern vorhersehbar war.
Zwar ist bei einem kurz vor der Volljährigkeit stehenden Jugendlichen die elterliche Aufsichtspflicht typischer- und auch richtigerweise nur noch zurückgenommen, aber möglicherweise konnten (oder mussten) die Eltern im konkreten Fall doch Anhaltspunkte für eine psychische Auffälligkeit oder gewisse Tatgeneigtheit ihres Sohnes erkennen.
Letzteres sind wahrscheinlich auch die Fragen, die die (Angehörigen der) Opfer beschäftigen. Ob sie darauf Antworten erhalten, wird sich zeigen. Ich halte es aber grundsätzlich für richtig, solche Fragestellungen in einer Hauptverhandlung zu erörtern und nicht nur ein Strafbefehlsverfahren durchzuführen.
Hier im Beck-Blog hatten wir die Frage schon im März diskutiert (Link).