Endlich! BVerfG erklärt Gefangenenentlohnung für verfassungswidrig
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Ein seit Jahrzehnten diskutiertes und unter Strafvollzugsexperten einhellig beurteiltes Thema hat nun endlich nach 25 Jahren erneut die verdiente Aufmerksamkeit des BVerfG und verfassungsrechtliche Bewertung erhalten: Die Gefangenenentlohnung - in Bayern und NRW - ist (weiterhin) zu niedrig (Link WDR)
Die Urteilsgründe sind hier bereits publiziert. Das BVerfG hat wiederum das schon mehrfach mit Verfassungsrang ausgestattete Resozialisierungsgebot als Anker benutzt, um die geringe Entlohnung als verfassungswidrig festzustellen. Eine bestimmte Höhe der verfassungsgemäßen Entlohnung, ist nicht festgeschrieben worden. Vielmehr schreibt das BVerfG ein Resozialisierungskonzept vor und eine daran zu orientierende Entlohnung der Gefangenenarbeit.
Auszug aus den Leitsätzen:
2. (...) Der Gesetzgeber muss die Zwecke, die im Rahmen seines Resozialisierungskonzepts mit der (Gesamt-)Vergütung der Gefangenenarbeit und insbesondere dem monetären Vergütungsteil erreicht werden sollen, im Gesetz benennen und widerspruchsfrei aufeinander abstimmen.
- 3. Der Gesetzgeber ist nicht auf ein bestimmtes Regelungskonzept festgelegt; vielmehr ist ihm ein weiter Gestaltungsraum eröffnet. Die gesetzlichen Vorgaben für die Ausgestaltung des Vollzugs müssen auf sorgfältig ermittelten Annahmen und Prognosen beruhen, und die Wirksamkeit der Vollzugsgestaltungen und Behandlungsmaßnahmen muss regelmäßig wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.
- 4. Hat der Gesetzgeber ein Resozialisierungskonzept festgeschrieben und entschieden, welchen Zwecken die Gefangenenarbeit und deren Vergütung dienen sollen, müssen Ausgestaltung und Höhe der Vergütung so bemessen sein, dass die in dem Konzept festgeschriebenen Zwecke auch tatsächlich erreicht werden können. Die Angemessenheit der Vergütungshöhe ist an den mit dem Resozialisierungskonzept verfolgten Zwecken zu messen.
Die in den JVA für arbeitende Gefangene gezahlten Löhne liegen bislang mit knapp 2 Euro pro Stunde weit unterhalb des Mindestlohns von 12 Euro/Stunde.
Man muss dazu berücksichtigen, dass Ausbildung und (regelmäßige) Arbeit eine der wichtigsten, wenn nicht sogar regelmäßig die einzige „Behandlungsmaßnahme“ ist, die in den JVA als Vorbereitung auf eine straffreies Leben tatsächlich durchgeführt wird; für Gefangene gilt Arbeitspflicht. Für weitere Therapieangebote fehlen oft die Ressourcen. Dafür dass die Arbeit so im Zentrum der Resozialisierung steht, ist die bisherige Vernachlässigung einer gerechten Entlohnung schon skandalös zu nennen.
Gegen eine höhere Entlohnung wurde neben fiskalischen Gründen bisher angeführt, dass die in den Anstalten durchgeführten Arbeiten eine geringe Produktivität aufwiesen v.a. wegen des relativ niedrigen Ausbildungsgrads und der hohen Fluktuation. Zudem würden die Gefangenen ja für Kost und Logis nicht selbst aufkommen müssen.
Allerdings wurde dabei weder das Schicksal der schadenersatzberechtigten Opfer noch das der unterhaltsberechtigten Angehörigen der Gefangenen berücksichtigt noch, dass auch Zahlungen an die Rentenversicherung unterbleiben. Nach langjährigen Freiheitsstrafen entfällt damit auch eine angemessene Rente. Durch diese Vernachlässigung der angemessenen Entlohnung wird den Gefangenen zugleich signalisiert, dass ihre Arbeit nicht wertgeschätzt wird, was unmittelbar die Wirksamkeit der angestrebten Resozialisierung untergräbt. Eine angemessene Entlohnung würde aus den genannten Gründen nicht etwa dazu führen, dass die Gefangenen plötzlich über wesentlich mehr Mittel verfügen könnten. Denn durch Abzug der Unterhaltspflichten, der Rentenversicherungsbeiträge und eines angemessenen Haftkostenbeitrags würden die Gefangenen auch bei Mindestlohn keineswegs bevorzugt werden. Für den Fiskus insgesamt wird eine bessere Bezahlung auch nicht wesentlich teurer, denn Angehörige und ehemalige Gefangene (im Alter) müssen bislang sehr häufig aus öffentlcihen Mitteln unterstützt werden.
Die Entscheidung des BVerfG ist also zu begrüßen. Ob, und insbesondere wann und wie diese Entscheidung in den 16 Bundesländern umgesetzt wird, davor steht allerdings ein großes Fragezeichen. In der Vergangenheit gab es jedenfalls Anzeichen für eine nicht immer hinreichende Compliance der für den Strafvollzug zuständigen Ministerien und Behörden.