Straßenblockaden durch Klimaaktivist-inn-en: Strafbare Nötigung, gegen die Notwehr geübt werden kann?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Klimaaktivisten, insbesondere diejenigen der Gruppierung „Letzte Generation“ sind in jüngerer Zeit häufig durch Blockaden von wichtigen Straßen in Großstädten aufgefallen.
Damit soll Aufmerksamkeit auf eine der wichtigsten und bedrohlichsten weltweiten Krisen gerichtet werden. Die Politik soll konsequenter handeln und die mit den Blockaden belästigten Autofahrer-innen sollen ggf. in diesem Sinne Druck auf die Politik ausüben. Ob diese Aktionen, die ja nicht die damit angesprochenen Politiker hauptsächlich treffen, politisch sinnvoll bzw. vernünftig sind, soll hier nicht Thema sein. Ich habe mich an verschiedenen Stellen dazu geäußert, dass ich ungezielten Protest für weniger sinnvoll halte, obwohl ich das Ziel der Blockierer, wie wohl die meisten Menschen, durchaus teile. Aber mittlerweile gibt es auch andere, kaum weniger überzeugende Stimmen zum Sinn bzw. Erfolg dieser Art von Protest.
An dieser Stelle soll es allerdings um das Strafrecht gehen, wobei in jüngster Zeit die beiden im Titel angedeuteten Fragen in die Diskussion geraten sind, einerseits durch verschiedene sich widersprechende gerichtliche Entscheidungen, andererseits durch Äußerungen aus der Strafrechtswissenschaft.
I. Die Frage der Strafbarkeit nach § 240 StGB
Bei der Strafbarkeit von Sitzblockaden handelt es sich um eine schon seit den 1960ern im Streit stehende und immer wieder diskutierte Problematik. Ein erstes Fazit möchte ich schon vorausschicken: Unser StGB von 1871 ist trotz vieler seitheriger Reformen nicht besonders gut geeignet, auf Akte des zivilen Ungehorsams angemessen differenzierte bzw. einigermaßen nachvollziehbare klare Antworten zu geben.
Zur Erinnerung: Im Jahr 1966 hatten Kölner Studierende aus Protest gegen Fahrpreiserhöhungen die Straßenbahn blockiert, indem sie sich auf die Gleise gesetzt hatten. Der BGH konstatierte, es handele sich um Nötigung „mit Gewalt“, obwohl die auf diese Weise genötigten Straßenbahnführer keine Einwirkung auf ihren Körper zu beklagen hatten. Gewalt könne nämlich auch durch psychischen Zwang ausgeübt werden, wenn dieser „unwiderstehlich“ sei, weil der Fahrer der Straßenbahn keinen Totschlag begehen wolle. Zitat:
„Die Studenten, die sich auf den Gleiskörper der Straßenbahn setzten, um damit den Straßenbahnverkehr zu blockieren, nötigten die Führer der Straßenbahn mit Gewalt, ihre Fahrzeuge anzuhalten (…) Entscheidend ist, welches Gewicht der von ihnen ausgeübten psychischen Einwirkung zukam. (…)
Stellt sich ein Mensch der Bahn auf den Schienen entgegen, so liegt darin die Ausübung eines Zwanges, der für den Fahrer sogar unwiderstehlich ist, denn er muss halten, weil er sonst einen Totschlag beginge.“
(BGHSt 23, 46, 54)
Der damals ganz h.M. entsprechend führt die Annahme von „Gewalt“ in § 240 Abs.1 StGB umstandslos auch zur Verwerflichkeit nach Abs.2 derselben Norm.
Ein solcher unwiderstehlicher und daher gewaltsamer Zwang wurde von den Gerichten dann routinemäßig bei Verkehrs-/Sitzblockaden angenommen. Der Zweck der jeweiligen Aktion blieb außer Betracht, denn politische „Fernziele“ werden auch in der Abwägung nach Absatz 2 nicht berücksichtigt, ebenso wenig der Umstand, dass es sich um Akte moderner politischer Kommunikation handelt.
Viele Strafrechtswissenschaftler kritisierten allerdings die „Vergeistigung“ des Gewaltbegriffs, die sie hier sahen. Konnte man es wirklich umstandslos als „Gewalt“ subsumieren, wenn Protestierende Gleise oder Zugangsstraßen, Gebäudeeingänge, Brücken oder politisch gegnerische Demonstrationen lediglich blockierten, aber weder körperliche Angriffe auf Personen unternahmen, noch Schäden an Personen oder Sachen verursachten?
Das BVerfG hat es im Jahr 1995 (BVerfGE 92, 1) schließlich abgelehnt, psychische Beeinträchtigungen als Gewaltausübung zu subsumieren, denn die psychische Zwangsausübung sei ja bereits "nötigen". Zentral war folgendes Argument:
„Da die Ausübung von Zwang auf den Willen Dritter bereits im Begriff der Nötigung enthalten ist (…) kann die Gewalt nicht mit dem Zwang zusammenfallen, sondern muss über diesen hinausgehen “
Die Folge war, dass Protestierende, die – nur – den eigenen Körper als Mittel zur Blockade einsetzen, nicht wegen gewaltsamer Nötigung bestraft werden konnten. Dies veranlasste die Instanzgerichte – und den BGH – nun dazu, bei jeglicher Blockade darauf zu achten, ob die Protestierenden möglicherweise neben ihrem bloßen Körper doch weitere Mittel zur Blockade verwendet hatten. Sobald dies der Fall war, konnte „Gewalt“ und damit zugleich auch Verwerflichkeit bejaht werden. Dazu gehörte auch etwa das Anketten an den Gleiskörper oder, und das war diejenige Interpretation, die die vorherige Entscheidung des BVerfG für Straßenblockaden nahezu ad absurdum führte: Das bewusste Ausnutzen der Fahrzeuge, die in der ersten Reihe stünden zur Blockade der zweiten und aller weiteren sei ebenso gewaltsam. Denn jene Fahrzeuge bzw. ihre Fahrer-innen würden von den Protestierenden quasi als Werkzeug eingesetzt, die weiter entfernten Fahrzeuge in mittelbarer Täterschaft zu blockieren.
Auf diese Art wurde bei einer der häufigsten politischen Blockadeformen, nämlich der Blockade des Kraftfahrzeugverkehrs, das Merkmal Gewalt reetabliert.
Das BVerfG hat im Jahr 2011 diese Subsumtion des BGH als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestuft, zugleich aber für die Fälle, in denen eine solche Blockade durchgeführt wird, um ein die Aufmerksamkeit für ein politisches Ziel zu befördern, § 240 Abs.2 StGB als Ort der Verhandlung über die Rechtswidrigkeit betont. Der Schluss von (begrenzter psychischer) Gewaltausübung durch eine Sitzblockade auf die Verwerflichkeit der Nötigung erscheint seither verfassungsrechtlich nicht mehr zulässig.
Diese verfassungsrechtliche Argumentation scheint aber in der Praxis – teilweise auch in Politik und Rechtswissenschaft – nicht durchgängig angekommen zu sein. So wird nach wie vor argumentiert, die Subsumtion des Verhaltens als Gewalt führe mehr oder weniger automatisch zur Rechtswidrigkeit der Nötigung.
Zwei nahezu zeitgleiche Beispiele aus der aktuellen Rechtsprechung seien benannt. Sie kommen bei Klimaaktivisten, die, auch mittels Klebstoff, die Straße blockiert hatten, zu unterschiedlichen Ergebnissen.
1. AG Tiergarten, Beschluss vom 5.10.2022 (Ablehnung eines Strafbefehls)
Zitat:
„Deshalb sind im Lichte von Art. 8 GG zum Schutz vor übermäßigen Sanktionen seitens des Bundesverfassungsgerichts besondere Anforderungen an die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel gem. § 240 Abs. 2 StGB aufgestellt worden.
Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion (a), deren vorherige Bekanntgabe (b), Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten (c), die Dringlichkeit des blockierten Transports (d), aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand (e). Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt.“
Das Gericht kommt nach ausführlichem Blick auf die Abwägungskriterien im konkreten Fall zu folgendem Ergebnis:
„Angesichts der die von den Blockaden betroffenen Fahrzeugführer positiv wie negativ und überhaupt die Menschheit dringlich betreffenden Ziele der Demonstrationsteilnehmer und also auch der Angeschuldigten, angesichts der Tatsache, dass dringende Transporte wie namentlich Krankentransporte das Demonstrationsgebiet passieren konnten, angesichts der Tatsache, dass die Demonstration die Betroffenen kaum länger als eine Vielzahl sonstiger (angemeldeter) Demonstrationen im Stadtgebiet beeinträchtigt hat und (mutmaßlich, da von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht umfasst) angesichts der vorangehenden Ankündigungen weiterer Demonstrationen zumindest einige der betroffenen Fahrzeugführer im Vorfeld auch auf öffentliche Verkehrsmittel hätten umsteigen können, ist das Verhalten der Beschuldigten nicht verwerflich i.S.v. § 240 Abs. 2 StGB. Die legitime Ausübung von Art. 8 GG seitens der Beschuldigten überwiegt vorliegend bei weitem die nur verhältnismäßig geringfügig eingeschränkten Grundrechtsbelange der durch die Demonstration behinderten Fahrzeugführer.“
Quelle: AG Tiergarten, Beschluss vom 5.10.2022 – (303 Cs) 237 Js 2450/22 (202/22)
2. AG Tiergarten, Urteil vom 30.08.2022
Die Gegenposition lässt sich in einer anderen der Entscheidung des AG Tiergarten (Jugendgericht) erkennen. Der 20jährige Angeklagte wurde zu 60 Stunden Freizeitarbeiten angewiesen. Eine Abwägung, wie sie das BVerfG für angemessen erachtet, ist nach Ansicht des Jugendrichters nicht erforderlich.
„Das Gericht hält demgegenüber in Übereinstimmung mit dem seinerzeit zur „Wackersdorf-Entscheidung“ abgegebenen Sondervotum der Bundesverfassungsrichterin H. den Schutzbereich des Artikel 8 Grundgesetz für nicht eröffnet. Grundrechte verbürgen grundsätzlich Rechte gegenüber dem Staat, bilden aber keine Grundlage für Eingriffe in die Rechte anderer Grundrechtsträger, und können daher Ausübung von Gewalt diesen gegenüber nicht legitimieren (Haas NJW 2002, 1035). Es ist vorliegend ja auch nicht so, dass die Behinderung Dritter die unvermeidliche Nebenfolge einer Versammlung gewesen wäre, vielmehr wurde hier ja gezielt ein langer Stau auf dem Berliner Stadtring verursacht, um die Bundesregierung zu den angeblich unumgänglich notwendigen Schritten zu veranlassen, Aufmerksamkeit zu erregen und auch die im Stau Stehenden mit dem Anliegen der Blockade-Teilnehmer zu konfrontieren. Diese wiederum konnten dieser Konfrontation auch nicht ausweichen, hatten diese vielmehr zu erdulden aufgrund der von den Blockade-Teilnehmern ausgehenden Gewalt. Die Freiheit zur Meinungsäußerung Einzelner (Artikel 5 Grundgesetz) wie auch derjenigen, die zum Zwecke kollektiver Meinungsäußerung eine Versammlung durchführen (Artikel 8 Grundgesetz), geht aber nicht einher mit dem Recht, von einzelnen oder auch einer Vielzahl Personen gehört zu werden (vergleiche Haas am angegebenen Ort, Seite 1035 f., mit weiteren Nachweisen). Es gibt kein verfassungsmäßiges Recht auf Gehör oder auch nur Aufmerksamkeit, jeder hat auch das Recht, nicht zuzuhören, seine Aufmerksamkeit nicht zu schenken und in Ruhe gelassen zu werden. Artikel 8 des Grundgesetzes gewährleistet kein Recht, sich Gehör und Aufmerksamkeit gewaltsam zu verschaffen.
Die vom Angeklagten und seinen Mittätern durchgeführte Blockade ist verwerflich, sie haben gewaltsam Verkehrsteilnehmer daran gehindert, ihren Weg fortzusetzen und die diesen grundrechtlich verbürgte Handlungsfreiheit auszuüben, indem diese den Weg zu ihren Zielen, die sie erreichen wollten und in vielen Fällen sicher auch dringend mussten, nicht fortsetzen konnten.“
Quelle: AG Tiergarten, Urteil vom 30.08.2022 – (422 Cs) 231 Js 1831/22 (11/22) Jug
Hier wird praktisch mit der (angeblichen) Evidenz argumentiert, eine Rechtfertigung aufgrund politischer Zielsetzung komme nicht in Frage, da die politische Teilhabe ihre Grenze in der Strafbarkeit der Handlung, insbesondere in der Gewalttätigkeit finde. Und die Gewalttätigkeit führt dann mehr oder weniger unmittelbar auch zur Verwerflichkeit der Nötigung.
Allenfalls auf den ersten Blick überzeugend wirkt auch die Twitternachricht des Bundesjustizministers Marco Buschmann:
„Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldet Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig, Prostest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“
Auch er scheint die Rechtsprechung des BVerfG für irrelevant zu halten.
Überboten wird dies noch durch den Ex-Verkehrsminister Scheuer (CSU), der – offenbar unter Verkennung rechtsstaatlicher Grundsätze, Innenministerin Faeser und Justizminister Buschmann nach einer Blockadeaktion am Berliner Flughafen in einem Tweet direkt auffordert:
„Hallo Justizminister! Hallo Innenministerin! Sperrt diese Klima-Kriminellen einfach weg! #BER #LetzteGeneration Die Täter müssen Konsequenzen spüren.“
Auch ein Beschluss des OLG Celle scheint – jedenfalls nach der Information der Pressemitteilung – eher unterkomplex pauschal:
„Die Beschädigung des Universitätsgebäudes ist darüber hinaus auch nicht durch „zivilen Ungehorsam“ gerechtfertigt. Niemand sei berechtigt, in die Rechte anderer einzugreifen, um auf diese Weise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen und eigenen Auffassungen Geltung zu verschaffen. Wer auf den politischen Meinungsbildungsprozess einwirken möchte, könne dies in Wahrnehmung seiner Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit, seines Petitionsrechts und seines Rechts auf Bildung politischer Parteien tun, nicht aber durch die Begehung von Straftaten. Würde die Rechtsordnung einen Rechtfertigungsgrund akzeptieren, der allein auf der Überzeugung des Handelnden von der Überlegenheit seiner eigenen Ansicht beruhte, liefe dies auf eine grundsätzliche Legalisierung von Straftaten zur Erreichung politischer Ziele hinaus.“
Quelle: OLG Celle, Beschluss vom 29.07.2022 – 2 Ss 91/22
Aber hier ging es um Sachbeschädigung. Der Tatbestand der Sachbeschädigung unterscheidet sich fundamental von demjenigen der Nötigung. Das Gesetz knüpft die Strafbarkeit der Sachbeschädigung eben nicht an die Verwerflichkeit und damit außerhalb des Tatbestands liegende grundsätzliche Abwägungen.
II. Die Frage der Notwehr gegen Straßenblockaden
Quasi die nächste Eskalationsstufe wird aufgerufen, wenn man darüber diskutiert, ob blockierten Autofahrern Notwehr gegen die Klimaprotestierenden zusteht.
Es geht also um die Frage, ob in der Auseinandersetzung die eigene Fortbewegungsfreiheit durch eine – diesmal tatsächlich gewalttätige – Notwehrhandlung gegen die Protestierenden rechtmäßig verteidigt werden darf.
Auf den ersten Blick gilt hier der (nach geltendem deutschem Strafrecht) ohne Verhältnismäßigkeitsprüfung durchsetzbare Grundsatz: „Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“.
Zutreffend haben einige Kolleg-inn-en darauf hingewiesen, dass eine Abwägung der (zeitlich ja nur mäßig eingeschränkten) Freiheit der Blockierten gegen die Freiheit zum Protest oder gar gegen die (hehren) inhaltlichen Ziele des Protests in § 32 StGB gerade nicht vorgesehen ist.
Allerdings ist bei der Verteidigung gegen eine Nötigung die Verhältnismäßigkeitsprüfung eben doch nicht verzichtbar, denn sie ist in die Rechtswidrigkeit der Nötigung nach § 240 Abs.2 (und damit in die Rechtswidrigkeit des „Angriffs“ iSd § 32 StGB) „eingebaut“. Die dort zu prüfende Verwerflichkeit ist kaum etwas anderes als eine (verschärfte) Form der (Un-)Verhältnismäßigkeit. Und somit ist das Recht zur Verteidigung keineswegs wie bei anderen Rechtsgutbeeinträchtigungen durch die Tatbestandsmäßigkeit des Angriffs indiziert. Und die subsumierte Gewalttätigkeit des Protests, gleich ob man diese aus der „zweiten Reihe“-Rechtsprechung oder aus dem Festkleben an die Fahrbahn herleitet, führt auch nicht, wie oben gezeigt, zur Vereinfachung dieser Verwerflichkeitsprüfung.
Wenn also ein Gericht – entgegen der deutlichen „Empfehlung“ des BVerfG – eine Verwerflichkeitsprüfung einfach „verwirft“ oder für überflüssig erachtet, verkennt es die Komplexität des erforderlichen Prüfumfangs, und dies würde sich ggf. auch auf die Bewertung einer Notwehrhandlung auswirken.
Wenn Kolleg-inn-en aus der Rechtswissenschaft die Notwehrfrage ebenfalls meinen „einfach“ auflösen zu können, dann verkennen sie die Komplexität der Situation. Aber sie zeigen mit ihrer Argumentation, was eigentlich schon länger klar sein sollte: Die Notwehrnorm selbst gibt, gerade in Fällen des zivilen Ungehorsams, keine eindeutige Orientierung. Konkret: Die Antwort auf diese Frage, stößt in Situationen, in denen die Rechtswidrigkeit von einer komplexen Verwerflichkeitsprüfung abhängig ist, auf immense Schwierigkeiten. Was, entgegen der Intention einer „schneidigen“ Notwehr, eigentlich zu dem Ratschlag führen sollte: „Übe keine (vermeintliche) Notwehr, wenn du selbst nicht die Komplexität der vom BVerfG geforderten Verwerflichkeitsprüfung durchführen kannst.“
Und auch sub specie „Erforderlichkeit“ der Notwehrhandlung erscheint es fraglich, ob nicht die im öffentlichen Straßenverkehr grundsätzlich einsatzfähige Polizei es regelmäßig gebietet, deren Einsatz abzuwarten, auch wenn damit eine (zeitlich allerdings begrenzte) Preisgabe des Rechts einhergeht. Dabei gilt es auch zu beachten, dass bei der Teilnahme am Straßenverkehr heutzutage ohnehin keine unbeschränkte Fortbewegungsfreiheit garantiert ist: Zu viele andere Interessen und Ereignisse (von Demonstrationen einmal abgesehen auch: Volksfeste, Sportereignisse, religiöse Prozessionen, Baustellen, Verkehrsüberlastung) sorgen dafür, dass die unbelastete Fortbewegung ohnehin kein durchsetzbares „Recht“ des Verkehrsteilnehmers ist. Ganz regelmäßig wird es für die im hinteren Teil des Staus platzierten Autofahrer der zweiten bis x-ten Reihe das gleich wirksame bzw. sogar wirksamere Mittel sein, eine Räumung der Blockade durch die Polizei abzuwarten als selbst die Klimablockierenden gewaltsam „abzuräumen“.