Einstellung als Polizeikommissar-Anwärter darf nicht wegen HIV-Infektion abgelehnt werden
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Eine HIV-Infektion kann arbeitsrechtliche Fragen aufwerfen, wenn der Arbeitgeber eine(n) Bewerber(in) aus diesem Grunde ablehnt oder gar wegen einer bekannt gewordenen Erkrankung später eine Kündigung ausspricht. Hier kommt insbesondere das AGG ins Spiel. Das BAG (19.12.2013 – 6 AZR 190/12, NZA 2014, 372) hatte vor einigen Jahren entschieden, eine symptomlose HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des § 1 AGG darstelle. Eine solche Infektion führt zu einer chronischen Erkrankung, die sich auf die Teilhabe des Arbeitnehmers an der Gesellschaft auswirkt. Das gälte so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauerten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang eine gerade ergangene Entscheidung des VG Hannover (Urteil vom 18.07.2019 – 13 A 2059/17, PM vom 18.7.2019). Durch diese wird die beklagte Polizeiakademie Niedersachsen verpflichtet, über die Bewerbung des Klägers neu zu entscheiden, bei dem eine mehrjährig und erfolgreich therapierte HIV-Infektion besteht. Infolge der Therapie mit antiretroviraler Medikation liegt bei dem Kläger die Viruslast ständig unter der Nachweisgrenze. Das Gericht hat zu der Frage, ob diese Infektion zur Polizeidienstuntauglichkeit führt, ein Sachverständigengutachten eines u. a. im Bereich der Immunologie forschenden Professors der Medizinischen Hochschule Hannover eingeholt. Die Kammer ist der Auffassung des Sachverständigen gefolgt, dass bei dem Kläger weder eine vorzeitige Dienstunfähigkeit drohe noch ein Risiko bestehe, dass er Kollegen oder Bürger anstecken könnte. Sie hat dabei hervorgehoben, dass ihre Einschätzung nicht allgemein für HIV-Infizierte Geltung beansprucht, sondern sich auf die gesundheitliche Situation des effektiv therapierten Klägers bezieht. Da der Kläger das Auswahlverfahren für den Polizeidienst noch gar nicht durchlaufen hatte, konnte er nicht mit Erfolg seine Einstellung als Polizeikommissar-Anwärter beanspruchen, sondern nur eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zur Frage der Polizeidiensttauglichkeit.
Schadensersatz oder Entschädigung wegen Diskriminierung nach § 15 I und II AGG hat das VG dem Kläger hingegen nicht zugesprochen, weil nach ihrer Auffassung schon die Frist von zwei Monaten für die Geltendmachung solcher Ansprüche nach Ablehnung der Bewerbung nicht eingehalten wurde. Das VG hat gleichwohl angemerkt, dass sie auch in der Sache nicht von einer Diskriminierung des Klägers ausgeht, weil seine Polizeidiensttauglichkeit erst infolge des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens fundiert bewertet werden konnte.
Das VG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Berufung zugelassen.