NSU-Prozess: Aufzeichnung des staatsanwaltlichen Plädoyers? Warum nicht?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der NSU-Prozess geht dem Ende entgegen. Wer glaubte, das Plädoyer der Staatsanwaltschaft werde – nach über 370 Verhandlungstagen – geschmeidig über die Bühne gehen, sah heute seine Hoffnungen enttäuscht (siehe Tagesschau-Bericht, siehe auch Zeit-Online). Die Verteidigung beantragte nun, dass man das voraussichtlich länger als 20 Stunden dauernde Plädoyer mitschneiden dürfe bzw. dass es mitgeschnitten werde. Weder den Verteidigern noch der Angeklagten sei eine vollständige Mitschrift zumutbar, um sich auf da eigene Plädoyer vorzubereiten. Man mag nun die darauf folgende Diskussion als absichtlich herbeigeführte prozessverzögernde, die extra angereisten Nebenkläger und Journalisten absichtlich verärgernde Konfliktverteidigung ansehen (hier die ausgewogene Sicht der Nebenklagevertretung). Aber eigentlich erscheint die Forderung nicht unberechtigt. Und dass auch das Gericht den Antrag nicht für völlig abwegig hält und möglicherweise auch revisionsrelevant, zeigt die Vertagung auf die nächste Woche. Die StPO gibt zwar kein Recht auf Tonaufzeichnung, aber diese ist (anders als die Rundfunkausstrahlung) jedenfalls auch nicht verboten. Das Argument des Gerichts, die Persönlichkeitsrechte der plädierenden Staatsanwälte seien betroffen, scheint mir vorgeschoben und wenig berechtigt. Dass mit einer Aufzeichnung das Mündlichkeitsprinzip verletzt werde, ist ebenso wenig haltbar. Die Forderung unterstreicht auch noch einmal, woran das Strafprozessrecht ohnehin krankt: Es gibt kein Wortprotokoll, keine Aufzeichnung ein Thema, das wir schon früher einmal im Beck-Blog diskutiert haben. Alle Prozessbeteiligten sind auf ihre eigenen Aufzeichnungen/Mitschriften angewiesen, auch das Gericht. Es wird sich bei der Urteilsfindung auf diese Aufzeichnungen verlassen (müssen), denn eine Erinnerung an eine schon vor Jahren abgegebene Zeugenaussage ist kaum zuverlässig. Eine für Juristen anderer Rechtsstaaten merkwürdige Regelung, da dort Prozesse meist vollständig mitstenografiert werden. In den USA dürfen sich etwa die Geschworenen für ihre Entscheidungsfindung noch einmal Zeugenaussagen im Wortlaut vortragen lassen bzw. können diese nachlesen.
Im NSU-Prozess kann man eine Ausnahme (nur für das Plädoyer der StA, nur zur Nutzung durch die Anwälte, Verteidigung und Nebenklage) ohne weiteres mit der angekündigten außergewöhnlichen Dauer begründen. Die Gegenargumente leuchten nicht ein.