Endlich mal ein anständiger Streitwert: ThyssenKrupp verlangt 191 Mio. Euro Schadensersatz
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Entscheidungen des Achten Senats sind ja regelmäßiger Gegenstand dieses Blogs, zumeist im Zusammenhang mit Entschädigungsansprüchen nach dem AGG. Darum ging es diesmal nicht, dafür aber um einen Streitwert, der für AGG-Kläger wohl auch künftig unerreichbar sein dürfte: 191 Mio. Euro Schadensersatz verlangt ThyssenKrupp von einem ehemaligen Geschäftsführer, weil dieser rechtswidrige Kartellabsprachen mit Mitbewerbern um öffentliche Aufträge getroffen hatte („Schienenkartell“). Dafür waren dem Unternehmen vom Bundeskartellamt Geldbußen in der geltend gemachten Höhe auferlegt worden, deren Erstattung es nun beansprucht. Darüber hinaus macht ThyssenKrupp weitere Schadensersatzansprüche geltend.
Das Arbeitsgericht Essen hatte die Klage erstinstanzlich abgewiesen. Aus den von der Klägerin vorgetragenen Tatsachen lasse sich weder die Beteiligung noch die Kenntnis oder auch nur die fahrlässige Unkenntnis des Beklagten an bzw. von den Kartellabsprachen herleiten.
Das LAG Düsseldorf hat durch Teilurteil (vom 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, BeckRS 2015, 65417) die auf Erstattung der Kartellbußen gerichteten Ansprüche abgewiesen. Die Funktion der Geldbuße nach § 81 GWB liege darin, die Unternehmen als Normadressaten des Kartellverbots zu veranlassen, dieses einzuhalten. Diese Sanktionswirkung schließe eine Abwälzung der Buße auf Mitarbeiter im Innenverhältnis aus. Dies entspräche nicht dem Sanktionszweck des Kartellrechts. Die Geldbuße müsse beim Unternehmen verbleiben und die Unternehmensträger treffen, um deren zukünftiges Verhalten zu beeinflussen.
Gegen dieses Teilurteil hat ThyssenKrupp Revision eingelegt, über die eigentlich schon im Herbst 2016 verhandelt werden sollte. Der Termin war dann aber auf den 29.6.2017 verlegt worden. Der Achte Senat hat keine Entscheidung in der Sache getroffen, sondern mit Blick auf § 87 GWB Zweifel an der Eröffnung des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen geäußert. Stellten sich in einem Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen kartellrechtliche Vorfragen iSv. § 87 Satz 2 GWB und könne der Rechtsstreit ohne Beantwortung dieser Fragen nicht entschieden werden, seien die Gerichte für Arbeitssachen für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig. Vielmehr seien ausschließlich die bei den ordentlichen Gerichten gebildeten Kartellspruchkörper zuständig. Zudem habe das Landesarbeitsgericht durch unzulässiges Teilurteil über die Klageanträge zu 1. und 2. entschieden. Der Rechtsstreit wurde daher an das LAG Düsseldorf zurückverwiesen.
Die Entscheidung mutet auf den ersten Blick merkwürdig an, weil das BAG normalerweise die Rechtswegfrage nicht mehr prüfen kann (§ 17a Abs. 5 GVG). Hier allerdings stellte sich die Besonderheit, dass erstens erst durch die vom LAG gewählte kartellrechtliche Begründung der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen unzulässig wurde, während er vor dem ArbG Essen noch eröffnet war, und dass zweitens das LAG entgegen § 17a GVG keinen Rechtswegbeschluss gefasst, sondern in der Hauptsache entschieden hat. Das Gericht wird nun vermutlich den Hinweis des BAG aufgreifen und den Rechtsweg durch Beschluss an die ordentlichen Gerichte verweisen. Mir ist allerdings nicht klar, ob die Verweisung an das Landgericht oder – weil das Verfahren beim LAG ja bereits in zweiter Instanz anhängig ist – das Oberlandesgericht erfolgen muss. Da Essen zwar im LAG-Bezirk Düsseldorf, aber im OLG-Bezirk Hamm liegt, wäre als Landgericht wohl Dortmund zuständig (§ 1 Kartellgerichte-Bildungs-VO NRW), während nach § 2 der genannten Verordnung unter den nordrhein-westfälischen Oberlandesgerichten nur Düsseldorf zuständig sein kann. In jedem Falle wird der Rechtsstreit bis zu seiner endgültigen Entscheidung in der Sache vermutlich noch längere Zeit in Anspruch nehmen.
BAG, Urteil vom 29.6.2017 – 8 AZR 189/15, Pressemitteilung hier