AGG: Nils Kratzer geht in die nächste Runde
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Damit war nicht unbedingt zu rechnen: Das BAG hat das Verfahren von Nils Kratzer um Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische LAG zurückverwiesen.
Der Kläger hatte sich 2009 bei der Wiesbadener R+V-Versicherung auf eine Trainee-Stelle beworben und war nicht genommen worden. Er sieht sich wegen seines Alters und seines Geschlechts benachteiligt. Die Beklagte hatte den Einwand des Rechtsmissbrauchs erhoben. Auf Vorlage des BAG (Beschl. vom 18.6.2015 - 8 AZR 848/13 (A), NZA 2015, 1063) hatte der EuGH 2016 erkannt, dass einem Entschädigungsanspruch der Missbrauchseinwand entgegenstehen kann, dafür aber strenge Voraussetzungen aufgestellt (EuGH, Urt. vom 28.7.2016 - C-423/15, NZA 2016, 1014). Auf deren Basis sieht der Achte Senat nun - anders als noch in seinem Vorlagebeschluss - die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 242 BGB aufgrund des bisherigen Sach- und Streitstandes nicht als erfüllt an. Insbesondere könne dem Kläger nicht entgegen gehalten werden, dass er seit 2009 zahlreiche Verfahren um Entschädigungsansprüche geführt hat. Denn Beurteilungszeitpunkt für den Rechtsmissbrauch sei "in der Regel" der Zeitpunkt der Bewerbung.
Der Senat hält Rechtsmissbrauch zwar nach wie vor nicht für ausgeschlossen. Er stellt hierfür - in Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH - aber strenge Voraussetzungen auf. Nach der Zurückverweisung werden die Parteien Gelegenheit haben, hierzu weiter vorzutragen.
Neben den zahlreichen rechtlichen Hinweisen lässt sich dem sehr ausführlich begründeten Urteil auch entnehmen, wie sehr die in der Ausschreibung artikulierte Erwartungshaltung an die Studienergebnisse der Bewerberinnen und Bewerber und die tatsächlichen Examensresultate auseinanderfallen. Gefordert war ein "sehr guter" Hochschulabschluss; von den vier am Ende eingestellten Bewerberinnen hatte nur eine ein "vollbefriedigendes" Staatsexamen (Frau B: erstes Staatsexamen 8,46 Punkte, zweites Staatsexamen 5,65 Punkte; Frau E: 8,05/8,06 Punkte; Frau F: 6,0/5,72 Punkte; Frau G: 9,41/7,69 Punkte).
BAG, Urt. vom 26.1.2017 - 8 AZR 848/13, hier auf den Seiten des BAG und BeckRS 2017, 112923
Ein Hinweis in eigener Sache: Zu AGG-Themen wird hier in diesem Blog sehr intensiv und oft leidenschaftlich diskutiert. Ich lege allerdings großen Wert darauf, dass die Diskussion in jeder Hinsicht sachlich bleibt. Persönliche Angriffe auf die Parteien, ihre Verfahrensbevollmächtigten, die Richterinnen und Richter oder Dritte werden nicht akzeptiert und konsequent gelöscht.