Reaktion auf den Fall Amri: Elektronische Aufenthaltsüberwachung gegen terroristische Gefährder
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In meinem Beitrag vom Dezember, kurz nach dem Berliner Anschlag, habe ich mich vor allem gegen die politische Forderung nach neuen Gesetzen gewandt. Der Ruf nach neuen Gesetzen erschien mir voreilig, wenn nicht zuvor die (möglichen) Versäumnisse beim Vollzug der schon bestehenden analysiert wurden.
Meine Befürchtung, dass Politiker mit neuen Forderungen an die Legislative erfolgreich von Versäumnissen der Exekutive ablenken könnten, ist nur teilweise eingetroffen. Hartnäckige journalistische Nachfragen und nicht zuletzt der Wahlkampf in NRW (und bald auch im Bund) haben dazu geführt, dass die Sicherheitsbehörden bezüglich der Geschehnisse um Anis Amri ins Schwitzen gerieten und zu selten anzutreffender Transparenz genötigt wurden. Die FDP-Oppositionsfraktion in NRW hat mich mit einem Gutachten beauftragt, um NRW-Innenminister Jäger (SPD) zu widerlegen, man sei bei Amri schon „bis an die Grenzen des Rechtsstaats gegangen“, die Gesetze hätten jedoch nicht ausgereicht, ihn zu inhaftieren. Zuletzt hat auch der Bundesinnenminister de Maiziere (CDU) das Ergebnis meines Gutachtens bestätigt, dass man Amri in Abschiebehaft hätte nehmen können. Nun soll ein Professorenkollege aus Gießen als unabhängiger Gutachter für die Landesregierung NRW die behördlichen Maßnahmen im Fall Amri prüfen. Dazu soll er offenbar auch Zugang zu bis jetzt nicht veröffentlichten Informationen erhalten.
Derzeit ist wohl „herrschende Meinung“, dass man Amri zunächst heimlich überwachen wollte, um möglicherweise sein „Netzwerk“ auszukundschaften und dann, als die Überwachung zu aufwändig wurde bzw. nicht mehr zielführend erschien, man ihn schlicht aus den Augen verloren hat und gar nicht mehr über Abschiebehaft nachdachte. Innenminister Jäger bestritt dies in der heutigen Sitzung des Innenausschusses allerdings: Das stimme hinten und vorne nicht (Twittermeldung Piratenfraktion).
Als Hintergrund war wohl entscheidend, dass man Amri – trotz der Anschläge in Nizza, Würzburg und Ansbach, die alle von vorher relativ „unauffälligen“ Tätern begangen wurden – nicht für sonderlich gefährlich hielt.
Allerdings hat die noch nicht abgeschlossene Analyse des Amri-Falls die Politik nicht davon abgehalten, neue Gesetzesvorschläge zu machen, die zum Teil schon konkretisiert wurden.
Im Vordergrund steht dabei seit gestern die elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) für Gefährder, die nun im BKA-Gesetz verankert werden soll (Gesetzentwurf pdf) :
§ 56 BKAG-Entwurf
Elektronische Aufenthaltsüberwachung
(1) Das Bundeskriminalamt kann eine Person dazu verpflichten, ein technisches Mittel, mit dem der Aufenthaltsort dieser Person elektronisch überwacht werden kann, ständig in betriebsbereitem Zustand am Körper bei sich zu führen und dessen Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen, wenn
1. bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat nach § 5 Absatz 1 Satz 2 begehen wird, oder
2. deren individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sie eine Straftat nach § 5 Absatz 1 Satz 2 begehen wird,
um diese Person durch die Überwachung und die Datenverwendung von der Begehung dieser Straftaten abzuhalten.
Zugleich soll, wie schon angekündigt, § 66 StGB so erweitert werden, dass die EAÜ auch bei bisher nicht genannten (weniger schweren) terroristischen Delikten greift, allerdings erst nach einer Verurteilung (dazu hier mein Beitrag auf LTO)
Der Bund ist in der Gefahrenabwehr nur für internationalen Terrorismus zuständig (vgl. § 5 BKAG). Terroristische Gefährder ohne internationalen Hintergrund (links- wie rechtsextrem) sind davon nicht erfasst. Hierfür müssen die Bundesländer eigene Gesetze erlassen.
Problematisch: Die EAÜ ist ein relativ schwerwiegender Eingriff, der nur dann verhältnismäßig ist, wenn eine auf Tatsachen beruhende Gefährdungseinschätzung vorliegt, die auch vor einem Gericht standhält. Genau dies hat das Vollzugsproblem bei Anis Amri ausgelöst: Die Behörden meinten, die (offenbar v.a. verdeckt ermittelten) Hinweise seien nicht hinreichend „gerichtsverwertbar“ gewesen. Zudem wollte man Amri gegenüber nicht offenbaren, dass man ihn schon erfasst hatte. Selbst wenn also § 56 BKAG schon 2016 existiert hätte, hätten die zuständigen Behörden wohl auch keine EAÜ für ihn beantragt, ebenso wenig, wie sie andere Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen (§ 56 AufenthG) gegen ihn implementierten. Die EAÜ ist zudem zur effektiven Kontrolle bzw. Verhinderung eines Anschlags durch einen entschlossenen Täter nicht sonderlich geeignet (Beitrag Gudula Geuther auf DLF).
Andererseits wird insbesondere die Polizei argumentieren, dass die EAÜ immerhin besser als gar nichts sei, wenn man eine ganze Reihe von eher unauffällig agierenden Gefährdern halbwegs unter Kontrolle halten will und nicht die Kapazitäten hat, sie alle rund um die Uhr zu observieren. Immerhin werde es Gefährdern dann erschwert, Kontakte anzubahnen und Vorbereitungen zu treffen.
Was meinen Sie?