Freiburger Mordfälle - keine Auswertung von DNA-Spuren für Fahndungszwecke möglich?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Anlässlich von zwei in der Umgebung Freiburgs begangener - lt. Polizei wahrscheinlich nicht zusammen hängender - Verbrechen, nach der Spurenlage jeweils Vergewaltigung und anschließende Tötung, wurde seitens der Polizei das geltende Recht kritisiert. Nach diesem dürfe die DNA-Analyse an Spuren nur die Identität und (zusätzlich) das Geschlecht des Spurenlegers betreffen, nicht aber eventuelle weitere Merkmale (Augenfarbe, Haarfarbe, Herkunftsregion), die mit moderner Technik durchaus ermittelbar seien. Solche Merkmale seien aber für die Fahndung nach einem unbekannten Täter durchaus sinnvoll.
In der FAZ heißt es dazu etwa.
„Durch eine eng gefasste Regelung in der Strafprozessordnung (Paragraph 81g) ist die Verwertung von DNA-Spuren stark eingeschränkt - so dürfen Rückschlüsse auf eine ethnische Zugehörigkeit der Täter nicht gezogen werden. Wäre das möglich, könnte man den Täterkreis besser eingrenzen und andererseits auch mögliche voreilige Verdächtigungen gegen arabischstämmige Flüchtlinge ausräumen. „Bei der Untersuchung dürfen andere Feststellungen als diejenigen, die zur Ermittlung des DNA-Identifizierungsmusters sowie des Geschlechts erforderlich sind, nicht getroffen werden“, heißt es in der Strafprozessordnung. Gegner einer Ausweitung der Verwendungsmöglichkeiten sehen darin einen schweren Eingriff in die Grundrechte.“
Die Junge Freiheit vermutet dazu: „Politische Korrektheit kann tödlich sein“
In einem Stern-Interview aus dem Jahr 2007 mit dem Rechtsmediziner Brinkmann heißt es:
„Warum untersucht man nicht auch die kodierenden Abschnitte der DNA, wenn man zum Beispiel mehr über einen Täter wissen will?
Da besteht wohl die Befürchtung, dass das, wenn man’s übertreibt, zu Diskriminierungen führen könnte. Deshalb ist man da sehr ängstlich. Aber wenn wir schon im nicht kodierenden Bereich aus der wahrscheinlichen Zugehörigkeit einer Person zu einer ethnischen Großgruppe auf deren wahrscheinliche Haar- und Augenfarbe schließen können, was spricht dagegen, diese Feststellungen durch Untersuchungen im kodierenden Bereich 99-prozentig zu treffen - und auch zu verwenden?
Doch wohl die Rechtslage.
Explizit nicht. Im Gesetz steht tatsächlich nur, dass die Untersuchung phänotypischer Merkmale nicht gewünscht ist.
Aber es passiert doch hin und wieder, oder?
Es gibt kaum ein Institut für Rechtsmedizin, dass nicht die Y-chromosomale Eigenschaft - also männlich oder weiblich - untersucht. Das machen auch die Landeskriminalämter. Da müssten wir uns blind stellen, wenn wir nicht sofort aus dem Muster lesen könnten, zu welcher ethnischen Großgruppe die Person gehört. Da kommt man gar nicht dran vorbei. Und wer A sagt, muss auch B sagen.
Das heißt: Sie wären durchaus in der Lage, Angaben zu ethnischer Herkunft und damit häufig automatisch zur Augen- und Haarfarbe zu machen, was aber nicht abgefragt wird.
Natürlich geht das. Aber es wird nicht danach gefragt, weil es nach dem Gesetz nicht gewünscht ist.“
Was ist dran an diesen Bemerkungen, was gilt tatsächlich?
Anders als die FAZ es darstellt, geht es nicht um § 81 g StPO, sondern um § 81 e StPO. Dessen Absatz 1 bezieht sich auf DNA, die einer bestimmten Person (Beschuldigter, Zeuge, Sonstige) entnommen wurde, bei der man also die äußeren Merkmale regelmäßig ohnehin schon kennt. Absatz 2 bezieht sich auf Spurenmaterial, das aufgefunden und sichergestellt wurde, also etwa die auch im Freiburger Fall gefundenen Spuren, die man nach polizeilicher Vermutung dem noch unbekannten Täter zuordnen kann. Absatz 2 Satz 2 ordnet nun an, dass die Zulässigkeitsgrenzen der molekulargenetischen Untersuchung entsprechend auch für dieses Material gelten. D.h. bei derzeitiger Gesetzeslage dürfen auch bei aufgefundenem Spurenmaterial der (vermuteten) Täterperson nur Abstammung, Identifizierung und Geschlecht ermittelt werden (§ 81 e Abs.2 S.2 i. V. m. Abs.1 S. 3 StPO).
Anders als Brinkmann im Interview meint, geht es also nicht um einen bloßen „Wunsch“ des Gesetzes, sondern um ein klares Verbot.
Was ist der Grund dafür? Aufschlussreich dazu ist die Begründung des Gesetzentwurfs (Januar 2003, BT-Drs 15/350), zur letzten Änderung des § 81 e StPO, die die damalige (rot-grüne) Regierungskoalition veranlasste. Es ging damals darum, die Untersuchung auf das Merkmal „Geschlecht“ auszuweiten:
Demgegenüber ist jedoch ein ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, eine Geschlechtsbestimmung mittels molekulargenetischer Untersuchung verbieten zu wollen, nicht feststellbar. Ausgangspunkt für den Gesetzgeber war seinerzeit die von ihm in § 81e Abs. 1 StPO getroffene Regelung für den Fall, dass sich die Untersuchung auf Material bezieht, das dem – bekannten – Beschuldigten oder Verletzten entnommen worden ist. Im unmittelbaren Anwendungsbereich des Absatzes 1 ist ein Interesse an der molekulargenetischen Feststellung des – regelmäßig bereits bekannten – Geschlechts wie auch sonstiger äußerlich erkennbarer Merkmale des Beschuldigten oder Verletzten häufig nicht gegeben. Problematisch ist jedoch insbesondere, dass § 81e Abs. 2 StPO für die Untersuchung von aufgefundenem Spurenmaterial die Regelung des Absatzes 1 für entsprechend anwendbar erklärt. Denn bei aufgefundenem Spurenmaterial ist das Geschlecht des Spurenlegers oftmals nicht bekannt. Es liegt jedoch auf der Hand, dass sich aus der Kenntnis dieses Merkmals für die Strafverfolgungsbehörden gezieltere Ermittlungs- und Fahndungsansätze ergeben, die für eine effektive Strafverfolgung nicht nur äußerst hilfreich ist, sondern im Einzelfall auch der einzige Erfolg versprechende Ermittlungsansatz sein kann und daher von erheblicher Bedeutung ist. (…) Sinn und Zweck der Regelungen über die Beschränkung der Untersuchungsweite bei der DNA-Analyse ist es nicht, die Feststellung des auch äußerlich erkennbaren Merkmals des Geschlechts des Beschuldigten oder des Opfers durch genetische Untersuchungen zu verbieten. Ziel war es vielmehr, „die Ausforschung schutzbedürftiger genetischer Anlagen des Betroffenen und die Feststellung genetisch bedingter schutzbedürftiger Persönlichkeitsmerkmale einem ausdrücklichen Verbot“ zu unterstellen (…). Es sollte damit verhindert werden, dass im Rahmen der genetischen Untersuchung vom Sachverständigen auch Feststellungen getroffen und weitergegeben werden zu genetisch bedingten besonders schutzbedürftigen (psychischen, charakterbezogenen und krankheitsbezogenen) Persönlichkeitsmerkmalen, wie z. B. Erbanlagen, Charaktereigenschaften, Krankheiten und Krankheitsanlagen. Die Feststellung, ob eine Körperzelle von einem Mann oder einer Frau herrührt, berührt als äußerlich erkennbares Merkmal nicht den besonders schutzbedürftigen Kern der Persönlichkeit. Zwar ist das Geschlecht genetisch angelegt und ein personenbezogenes Merkmal, das als solches vom Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfasst wird. Zugleich handelt es sich aber um ein regelmäßig von außen ohne weiteres – insbesondere auch ohne genetische Untersuchung – erkennbares Merkmal einer Person. Seine Feststellung kann daher nicht als Ausforschung schutzbedürftiger genetischer Anlagen des Betroffenen oder genetisch bedingter schutzbedürftiger Persönlichkeitsmerkmale begriffen werden. Dementsprechend hat es bislang auch keinem Zweifel unterlegen, dass etwa bei einer Tatortspur eines unbekannten Spurenlegers dessen Geschlecht anhand einer Blut- oder Speicheluntersuchung festgestellt werden darf (…).
Diese Erwägungen können allerdings nicht in gleicher Weise Geltung beanspruchen für die Feststellung der sonstigen äußerlich erkennbaren Merkmale eines Spurenverursachers, wie sie etwa im Rahmen erkennungsdienstlicher Maßnahmen ermittelt werden dürfen (Größe, Augen- und Haarfarbe etc.). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erlaubt der Stand der rechtsmedizinischen Forschung zur DNA-Analyse insoweit noch keine verlässlichen Aussagen. Zudem würden entsprechende Feststellungen auf den so genannten codierten Bereich der Erbanlagen zugreifen und damit in die Gefahr der Ermittlung schutzbedürftiger Persönlichkeitsmerkmale geraten. Dazu besteht schon auf Grund des insoweit noch nicht hinreichend fortgeschrittenen Standes der Wissenschaft jedenfalls derzeit keine Notwendigkeit. Dementsprechend hat auch ein von Rheinland-Pfalz (…) eingebrachter Gesetzentwurf lediglich vorgeschlagen, eine klarstellende Regelung hinsichtlich der Geschlechtsbestimmung (…) zu treffen, in Ansehung sonstiger äußerlicher Merkmale jedoch die Entwicklung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes weiter zu beobachten und erst zu gegebener Zeit über eine etwaige (weitere) Ergänzung der gesetzlichen Regelung nachzudenken.“
Nach der Gesetzesbegründung blieb es also beim Verbot einer erweiterten DNA-Analyse (jenseits der Geschlechtsbestimmung) bei Spurenmaterial nicht etwa aus „politischer Korrektheit“, sondern v.a. deshalb, weil man wissenschaftlich noch nicht so weit war. Man stellte 2003 sogar in den Raum, künftig eine weitere Ergänzung des Gesetzes zu erwägen.
Insbesondere sollte man m. E. erwägen, zwischen § 81e Abs.1 und Abs.2 StPO in der Rechtsfolge deutlicher zu unterscheiden, so dass Tatort-DNA-Spuren, insbesondere solche, die zur Fahndung nach Täterpersonen dienlich sein können, auch hinsichtlich weiterer äußerlich erkennbarere Merkmale ausgewertet werden dürften. Eine Suche nach anderen Persönlichkeitsmerkmalen oder Krankheiten sollte allerdings ausgeschlossen bleiben.
Was denken Sie? Ist eine entsprechende Gesetzesänderung angezeigt?
Ergänzung: In der Badischen Zeitung findet sich eine ausführliche Diskussion zu dieser Problematik, lesenswert.
Update 30.11.2016: Ein aktueller Artikel im Stern zum gleichen Thema
Update 6.12.2016: Badenwürttembergische Minister fordern Erweiterung der DNA-Auswertungsmöglichkeiten:
Auszug aus einem Artikel der Stuttgarter Zeitung:
Wenn es technisch möglich sei, weitere Erkenntnisse für die Ermittlungen zu gewinnen, „dann sollten wir diese Möglichkeit auch nutzen“, sagte Wolf unserer Zeitung. Gerade bei „solch schrecklichen Vorfällen“ wie den aktuellen Frauenmorden in Freiburg sollten die Behörden in der Lage sein, „alle verfassungsrechtlich zulässigen Ermittlungsansätze auch auszunutzen“. Die DNA-Auswertung sei vergleichbar mit einem Fall, in dem ein Straftäter zufällig gefilmt oder fotografiert werde; auch dieses Bildmaterial werde genutzt.
(...)
Die Behörde des Landesdatenschutzbeauftragten zeigte sich grundsätzlich offen für die angedachte Gesetzesänderung. Es spreche „manches dafür, dass sich eine solche Erweiterung noch im Rahmen des verfassungsmäßig Zulässigen halten dürfte“, sagte der amtierende Leiter Volker Broo. Entscheidend sei letztlich, wie neue Regeln in der Praxis angewendet würden. Grundsätzlich sei zu bedenken, dass Menschen mit jeder Lockerung „ein Stück weit gläserner“ würden.