LAG Schleswig-Holstein: Diskriminierung schwerbehinderter Menschen bei Einstellung – Schriftlicher Test ersetzt nicht das Vorstellungsgespräch
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Öffentliche Arbeitgeber treffen gegenüber schwerbehinderten Menschen im Bewerbungsverfahren besondere Pflichten. Insbesondere sind öffentliche Arbeitgeber gem. § 82 Satz 2 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Stellenbewerber zu einem Vorstellungsgespräch einladen, soweit diese nicht offensichtlich fachlich ungeeignet sind. Über die Reichweite dieser Pflicht besteht in der Praxis in einigen Punkten Unklarheit. Das ist deshalb misslich, weil eine Verletzung der Pflicht zur Einladung eines schwerbehinderten Bewerbers die Vermutung einer Diskriminierung wegen der Behinderung begründet (§ 22 AGG) und die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen droht. Das Merkmal des fachlichen Ungeeignetheit hat in der neueren Rechtsprechung immerhin zuletzt gewisse Konturen erlangt. So hat das BAG (vom 16.9.2008, NZA 2009, 79) entschieden, dass ein schwerbehinderter Bewerber bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs auch dann bekommen muss, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber auf Grund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet habe, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl komme, müsse er den schwerbehinderten Bewerber nach dem Gesetzesziel einladen. Ob ein Bewerber offensichtlich nicht geeignet sei, beurteile sich nach den geforderten Qualifikationsvoraussetzungen und den einzelnen Aufgabengebieten der ausgeschriebenen Stelle. Eine andere Frage geht dahin, ob die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch durch einen für alle Bewerber verbindlichen Auswahltest ersetzt werden kann. Das verneint zu Recht eine neuere Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 9. September 2015 – 3 Sa 36/15 -). Die Beklagte, eine öffentliche Arbeitgeberin, schrieb Ausbildungsplätze im dualen Studium zur Verwaltungsinformatikerin/zum Verwaltungsinformatiker - Diplom (FH) aus. Voraussetzung war ausdrücklich „mindestens vollwertige Fachhochschulreife“. Der schwerbehinderte, entsprechend ausgebildete Kläger bewarb sich um den Studienplatz, nahm an dem bereits in der Ausschreibung erwähnten schriftlichen Eignungstest teil und fiel durch. Daraufhin erteilte ihm die Beklagte eine Absage. Der Kläger verlangte von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung, weil er wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Seine Klage war sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht im Umfang von zwei Bruttomonatsvergütungen erfolgreich. Das Bestehen eines Eingangstests sei vorliegend nach Ansicht des LAG ausweislich der Ausschreibung keine Stellenanforderung, sondern bereits Teil des Auswahlverfahrens. Dabei müsse die Beklagte aber § 82 Satz 2 SGB IX beachten: Ein fachlich geeigneter schwerbehinderter Bewerber sei vom öffentlichen Arbeitgeber immer zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Er soll etwaige Defizite in einem persönlichen Gespräch ausgleichen können. Unterbleibe die Einladung, werde nach dem Gesetz eine Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung vermutet. Dies sei im entschiedenen Fall von der Beklagten nicht widerlegt worden.