Brandanschlag auf Flüchtlingsfamilie in Altena - ganz ohne politische Motive?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
1993:
„Dieser Anschlag hat Deutschland verändert: Vor 20 Jahren, in der Nacht zum 29. Mai 1993, brannte das Haus der türkischstämmigen Großfamilie Genç in der Unteren Wernerstraße 81 im nordrhein-westfälischen Solingen. Der Brandanschlag gilt heute als eine der folgenschwersten rassistischen Taten in der Geschichte der Bundesrepublik, er wurde zum Symbol für Fremdenhass und militante Ausländerfeindlichkeit. Zur Tatzeit hielten sich 19 Mitglieder der Familie Genç in dem Haus auf. Fünf von ihnen kamen durch den Brand ums Leben.“ (Der Spiegel 2013) - )
Der Generalbundesanwalt zog damals die Ermittlungen an sich. Auf der Website des GBA hieß es noch im September 2015:
„Bereits Anfang der neunziger Jahre hatte die Bundesanwaltschaft die Verfolgung der rechtsextremistischen Brandanschläge von Mölln (1992) und Solingen (1993) sowie 1994 das Verfahren wegen des Brandanschlages auf die Synagoge in Lübeck aufgrund der Vorschrift des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a GVG ( i.V.m. § 142a Abs. 1 GVG) übernommen. Nach Abschluss dieser Aufsehen erregenden Verfahren schien der gewalttätige Rechtsextremismus im Zuständigkeitsbereich des Generalbundesanwalts zunächst eingedämmt.“ (GBA, zitiert nach google cache) Die Website wurde mittlerweile geändert.
Gegen die Angeklagten im Alter von 16 bis 23 Jahren verhandelte damals das OLG Düsseldorf. Es ergab sich der seltene Fall, in dem ein OLG, obwohl kein Jugendgericht, erstinstanzlich nach Jugendstrafrecht zu verhandeln und zu verurteilen hatte, grds. Kritik an dieser Verfahrensweise: Eisenberg in NStZ 1996, 263 (Beck-Online-Link).
Zum damaligenTatablauf (zitiert nach Wikipedia):
„Laut einem Geständnis des älteren Tatverdächtigen fand im Vereinsheim einer Kleingartenanlage im Süden Solingens in der Tatnacht ein Polterabend statt. Drei Tatverdächtige waren angetrunken und störten die Festgesellschaft und wurden von dem Wirt und zwei anwesenden türkischen Bürgern aus dem Vereinsheim verwiesen. Die drei Tatverdächtigen begegneten kurz darauf dem 16-jährigen Tatverdächtigen und planten die Tat. Die vier Personen beschafften sich danach Benzin und drangen in den Hausflur der Familie Genç ein. Dort übergossen sie eine dort befindliche Truhe mit Benzin, formten eine Zeitung zu einer Fackel und zündeten den Brandsatz an.“
Die Urteile (lt. Wikipedia):
„Der sechste Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf verurteilte den 24-jährigen Markus G. (er gestand als einziger Angeklagter die Tat) wegen fünffachen Mordes, 14-fachen Mordversuches und besonders schwerer Brandstiftung zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Der 18-jährige Felix K., der 19-jährige Christian R. und der 22-jährige Christian B. wurden zur höchsten Jugendstrafe von zehn Jahren verurteilt. Nach Revisionen wurde das Urteil 1997 vom Bundesgerichtshof bestätigt.“
Das damalige Urteil blieb umstritten. Viele Prozessbeobachter hatten Zweifel an der Beteiligung aller Verurteilten, man lese z.B. hier nach.
2015:
Schon seit Beginn des Jahres werden immer wieder, meist noch nicht in Betrieb befindliche, Flüchtlingsunterkünfte in Brand gesetzt.
In Altena, NRW, etwa 50 km nordöstlich von Solingen, ereignete sich am letzten Samstag nach Auskunft der Ermittlungsbehörden in einer Pressekonferenz Folgendes:
„Nach den Erkenntnissen der Polizei waren die (…) Tatverdächtigen durch eine aufgebrochene Kellertür in das Haus gelangt. Sie legten auf dem Dachboden an zwei Stellen Feuer. Der Brandbeschleuniger, der dabei verwendet wurde, sorgte dafür, dass in dem Holzgebälk ein Schwelbrand entstand. Der Hagener Staatsanwalt Gerhard Pauli erklärte gegenüber dem WDR: "Am Freitag ziehen die Asylbewerber ein, und nur einen Tag später brennt es – das deutet stark auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund hin". Ein Brandsachverständiger geht davon aus, dass das Feuer in dem Wohnhaus vermutlich mit Benzin gelegt wurde. Hinweise darauf fand er an mindestens zwei Stellen im Dachgebälk. Dort sei der Kraftstoff über die Holzbalken geschüttet und angezündet worden. Weil das Feuer nicht genug Sauerstoff bekam, entstand zunächst nur ein Schwelbrand, der dann von Nachbarn entdeckt worden war. Sie alarmierten die Feuerwehr und verließen zusammen mit den Flüchtlingen unverletzt das Haus. Der Brand konnte schnell gelöscht werden.“ (Quelle: WDR)
„Die Westfalenpost“ schreibt:
„Beide Männer wollten nicht, dass die sieben Syrer - darunter eine schwangere Frau - in dem Haus an der Brandstraße wohnen. Bereits am vergangenen Freitagabend oder in der Nacht zu Samstag hätten sie deshalb das Feuer gelegt. Die Brandstifter kamen durch eine Kellertür an der Rückseite in das Flüchtlingshaus. Ausgerüstet mit einem Benzinkanister schlichen sie die Treppe hinauf bis zum Dachboden. Dort, so die Polizei, hätten sie an zwei Stellen die Dachbalken mit Benzin getränkt und angezündet. Danach verschwanden die beiden Männer. Die Balken gerieten in Brand. Mangels Sauerstoff erstickte das Feuer später wieder. Es glimmte nur noch. Zum Glück für die Bewohner. Besonders perfide: Ein Telefonkabel außen am Gebäude wurde durchtrennt - vermutlich von den Brandstiftern. Deshalb konnte der automatische Brandmelder nicht die Feuerwehr alarmieren. Wäre der Brand nicht durch die Anwohner entdeckt worden, hätte er noch weitaus mehr Schaden anrichten können.“
Die Tatabläufe weisen frappierende Ähnlichkeiten auf. Nur mit Glück wurde im Altenaer Fall niemand getötet oder verletzt. Insbesondere das Durchtrennen des Brandmeldekabels - der eine der beiden Tatverdächtigen soll selbst Feuerwehrmann sein - lässt möglicherweise auf weiterreichende Absichten schließen. Die staatsanwaltliche Reaktion fällt – vor allem im Vergleich mit dem Solinger Brandanschlag von vor 22 Jahren – bislang allerdings zurückhaltend aus. Nochmal die Westfalenpost:
„Die jungen Männer sollen aus "Angst vor Flüchtlingen" gehandelt haben. Staatsanwalt Bernd Maaß über das Motiv: "Hintergrund ist eine persönliche Überzeugung, keine politische." (…) Und: „Die beiden Männer bleiben nach ihrer Vernehmung auf freiem Fuß, weil rechtlich kein Haftgrund vorliegt. Sie stammten aus stabilen sozialen Verhältnissen, berichtet die Polizei. Nach Abschluss der Ermittlungen und Anklage der Staatsanwaltschaft muss das Duo mit einem Gerichtsverfahren wegen vorsätzlicher Brandstiftung rechnen.“
Auch der Generalbundesanwalt wird sich wohl diesmal nicht einschalten, schließlich gibt es keine politischen Motive und auch "keine besondere Bedeutung des Falles".
Ergänzung 10.10.2015.
Das lokale Nachrichtenportal come-on.de verbreitet heute weitere Einzelheiten zur Bewertung der Staatsanwaltschaft:
"Der 25-Jährige hatte am 1. April 2013 eine Ausbildung zum Feuerwehrmann bei der hauptamtlichen Feuerwehr in Lüdenscheid begonnen. Derzeit ist er Beamter auf Probe und absolvierte noch zusätzlich eine Ausbildung zum Rettungsassistenten. Er wurde am Freitagmittag nach Bekanntwerden der Vorwürfe suspendiert. „Er hatte ein Problem mit Autoritäten, aber es gab niemals einen Hinweis auf Fremdenfeindlichkeit“, sagte so Martin Walter, Leiter der Feuerwehr Lüdenscheid.
(...)
Die Altenaer gehören keiner rechtsgerichteten Organisation an und sind bislang polizeilich nicht in Erscheinung getreten. „Leider Gottes gibt es ja viele Menschen, die dem Zuzug der Asylbewerber kritisch gegenüber stehen und die Angst haben. Der überwiegende Teil ist nicht politisch organisiert und es ist eine persönliche Einstellung, die leider hier ihren Ausbruch gefunden hat“, so Staatsanwalt Maas.
(...)
Bis zu 15 Jahre Haft könnte auf die Täter zukommen. Der Vorwurf: schwere Brandstiftung nach § 306a. Für einen versuchten Mord spricht nach Angaben des Staatsanwaltes wenig. „Dass sie die Tötungshemmschwelle überwunden haben, sehe ich hier nicht“, erklärte Bernd Maas."
Dass nicht einmal als Anfangsverdacht ein Mordversuch angenommen wird, verwundert tatsächlich. Der Unterschied zum Solinger Fall, bei dem jedenfalls ein konkreter Streit mit Ausländern vorangegangen war (siehe oben), ist nicht derart groß. Dass die StA eine Überwindung der "Tötungshemmschwelle" verneint, scheint mir wenig überzeugend. Immerhin hat ein erwachsener ausgebildeter Feuerwehrmann im Dachstuhl eines bewohnten Hauses mittels Benzin Feuer gelegt und (vermutlich selbst) den Brandmelder außer Betrieb gesetzt. Diesen Sachverhalt einmal zugrundegelegt, fiele es mir schwer einen Anfangsverdacht nach §§ 211, 22, 23 StGB zu verneinen. Da hier das Mordmerkmal Heimtücke gegeben wäre, käme es auf den Motivhintergrund als weiteres Mordmerkmal nicht an. Immerhin: Auch wer nicht Mitglied in rechtsradikalen Organisationen ist, kann aus Fremdenhass handeln. Dieser scheint hier auf den ersten Blick vorzuliegen, auch wenn er, als "Angst" vor kriminellen Ausländern getarnt wird.
„Leider Gottes gibt es ja viele Menschen, die dem Zuzug der Asylbewerber kritisch gegenüber stehen und die Angst haben. Der überwiegende Teil ist nicht politisch organisiert und es ist eine persönliche Einstellung, die leider hier ihren Ausbruch gefunden hat“ - Man kann kaum glauben, dass der Staatsanwalt hier richtig zitiert wurde, denn diese Äußerung klingt arg verharmlosend.
Update Januar 2016
Nach Presseberichten soll das LG Hagen inzwischen doch versuchten Mord in Betracht ziehen.
Auszug aus einem Bericht (Quelle):
Der Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Altena, an der im Oktober 2015 ein Feuerwehrmann beteiligt gewesen sein soll, wird voraussichtlich als versuchter Mord vor dem Schwurgericht in Hagen verhandelt.
Die Richter am Landgericht müssen derzeit entscheiden, ob nach der Anklage das Hauptverfahren eröffnet wird, ob es also zum Prozess kommt. In seiner rechtlichen Einordnung geht das Gericht weiter als die Staatsanwaltschaft, die in der Anklage „nur“ von gemeinschaftlicher schwerer Brandstiftung ausgegangen war.
Hintergrund ist ein zusätzliches Gutachten eines Brandsachverständigen. Danach hätten die Brandstifter nicht vorhersagen können, wie sich das gelegte Feuer entwickelte – welche Gefahr tatsächlich entstand. Sie hätten also den möglichen Tod von Menschen in Kauf genommen oder gar beabsichtigt.