Keine Pflicht des Gesetzgebers zur Einführung des Wechselmodells
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Der Kindesvater hatte sich bei Amtsgericht und Oberlandesgericht vergeblich um ein paritätisches Umgangsrecht („Wechselmodell“) für sein minderjähriges Kind bemüht.
Die eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Elternrecht, welches Art. 6 Abs. 2 GG Müttern wie Vätern gewährleistet, bedürfe - so das BverfG - der gesetzlichen Ausgestaltung. Weil das Elternrecht beiden Elternteilen zustehe, seien Regeln zu schaffen, die ihnen für den Fall, dass sie sich über die Ausübung ihrer Elternverantwortung nicht einigen können, jeweils Rechte und Pflichten gegenüber dem Kind zuordnen. Dabei habe der Staat sicherzustellen, dass sich die Wahrnehmung des Elternrechts am Kindeswohl ausrichtet und bei der Ausübung der Elternverantwortung die Rechte des Kindes Beachtung finden.
Diesen Gestaltungsspielraum überschreitee der Gesetzgeber nicht dadurch, dass er die Anordnung paritätischer Betreuung nicht als Regelfall vorsieht. Aus Art. 6 Abs. 2 GG und der dazu bislang ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folge nicht, dass der Gesetzgeber den Gerichten für die Zuordnung von Rechten und Pflichten getrennt lebender Eltern eine paritätische Betreuung als Regel vorgeben und eine abweichende gerichtliche Regelung als Ausnahme ausgestalten müsste.
Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, bei fehlender Einigkeit der Eltern eine paritätische Betreuung als Regelfall der Zuordnung von Rechten und Pflichten getrennter Eltern vorzusehen, bestehe auch nicht aufgrund völkerrechtskonformer Auslegung des Grundgesetzes im Lichte der UN-Kinderrechtskonvention, weil sich daraus eine solche Verpflichtung nicht ergibt. Das Oberlandesgericht habe zutreffend darauf hingewiesen, dass der in Art. 18 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention geregelte Grundsatz der gemeinsamen Erziehungsverantwortung beider Eltern der Garantie des Elternrechts in Art. 6 Abs. 2 GG entspreche. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Einführung eines paritätischen Betreuungsrechts als Regelmodell könne daraus nicht hergeleitet werden. Dass Art. 18 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention hierzu verpflichte, sei auch deshalb ausgeschlossen, weil Art. 9 der UN-Kinderrechtskonvention eine umgangsrechtliche Spezialregelung für den Fall der Trennung der Eltern enthält. Art. 9 Abs. 3 der UN-Kinderrechtskonvention gewährleiste das Umgangsrecht des Kindes zu dem von ihm getrennt lebenden Elternteil, besage aber nichts darüber, in welchem Umfang die Vertragsstaaten den Umgang zu bemessen haben. Aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 2 der UN-Kinderrechtskonvention folge nichts anderes. Wie Art. 3 GG erfordert dieses keine identische Behandlung, sondern lasse es zu, sachlich berechtigte Differenzierungen angemessen zu berücksichtigen . Bei Sorgerechtsentscheidungen nach § 1671 BGB beziehungsweise Umgangsregelungen nach § 1684 BGB könnten Gründe des Kindeswohls einer paritätischen Betreuung entgegenstehen.
Dass die angegriffenen Entscheidungen diesen Maßstäben nicht genügen, ist nicht zu erkennen. Eine paritätische Betreuung entsprach - deren rechtliche Möglichkeit unterstellt - nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts im vorliegenden Fall nicht dem Kindeswohl. Das Oberlandesgericht hat dies plausibel damit begründet, dass aufgrund anhaltender Spannungen ganz erhebliche Kommunikationsschwierigkeiten zwischen den Eltern bestünden und es ihnen trotz zahlreicher Versuche der Fachkräfte und Gerichte auch zwei Jahre nach ihrer Trennung nicht gelungen sei, sich auf professionell begleitete Elterngespräche zu verständigen. Es hat sich hierbei auf seine eigenen Wahrnehmungen im Anhörungstermin, auf die Berichte des Jugendamts und des Verfahrensbeistands sowie den Inhalt der beigezogenen Sorgerechtsakten gestützt. Die erheblichen Differenzen zwischen den Eltern werden darüber hinaus durch die im Verfahren eingereichten Schriftsätze beider Elternteile belegt. Soweit der Beschwerdeführer dem Oberlandesgericht vorhält, es habe weder festgestellt, worin das vermeintliche Konfliktpotenzial der Eltern bestehe, noch habe es das zeitweilige „nahezu reibungslose“ Funktionieren einer im März 2012 getroffenen Umgangsregelung bis zum Umgangsantrag der Mutter im November 2012 berücksichtigt, widerspricht dies den Feststellungen der beigezogenen Beschlüsse des Sorgerechtsverfahrens. Diese benennen diverse, die Ausübung des Umgangs betreffende Streitigkeiten während des vom Beschwerdeführer genannten Zeitraums, die in einem Fall sogar zu einem Polizeieinsatz und in einem anderen Fall dazu führten, dass das Kind aufgrund des gegenseitigen Misstrauens der Eltern wegen derselben Erkrankung unnötig ein zweites Mal in einer Klinik vorgestellt wurde. Dies zeigt eindrücklich, dass die Eltern nicht in der Lage sind, ihr Kind aus ihrem Konflikt herauszuhalten, sondern dass sie dieses aktiv in ihre Streitigkeiten einbeziehen. Vor diesem Hintergrund ist die vom Oberlandesgericht getroffene Prognose, wonach sich das bereits hohe Konfliktpotenzial der Eltern bei Praktizierung des Wechselmodells weiter steigern würde, nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat dies im Übrigen mit dem noch jungen Alter des Kindes und dem eigentlichen Bestreben des Beschwerdeführers, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind zu erlangen, begründet. Dass letzteres zu weiterem Konfliktstoff zwischen den Eltern führen würde, liegt auf der Hand. Gleiches gilt im Hinblick auf das Begehren des Beschwerdeführers, das Kind während seiner Betreuungszeit in der Kindertagesstätte jederzeit zu sich nehmen zu dürfen. Denn damit zeigt er, dass er die von der Mutter getroffene Entscheidung, die Erziehungsangebote der Kindertagesstätte in dem von ihr gewünschten zeitlichen Umfang anzunehmen, nicht akzeptiert, was weiteres Konfliktpotenzial in sich birgt.
BverfG Beschluss vom 24.06.2015 - 1 BvR 486/14