Der Generalbundesanwalt und die NSA
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Der amerikanische Geheimdienst NSA habe im vergangenen Jahrzehnt etliche unserer Regierungspolitiker einschließlich der derzeitigen Bundeskanzlerin abgehört. Es gab zudem Vermutungen, der NSA habe in Europa nicht nur politische sondern auch wirtschaftliche Spionage betrieben. Vor gut einem Monat hat der Generalbundesanwalt dennoch die Ermittlungen zum Merkel-Handy nach § 170 Abs.2 StPO eingestellt. Es gebe keine gerichtsfesten Beweise für die Abhöraktion.
Nun wurden von wikileaks Dokumente veröffentlicht, die ein noch größeres Ausmaß der Abhöraktionen der NSA in Deutschland nahelegen. Der Generalbundesanwalt nimmt dies aber nicht zum Anlass zur Wiederaufnahme der Ermittlungen. Vielmehr wird angeblich mit denselben Argumenten wie zuvor bestritten, dass sich aus diesen Hinweisen gerichtsfeste Beweise für konkrete Abhörmaßnahmen ergeben könnten. Dies ist allerdings keine offizielle Mitteilung des GBA, sondern eine Meldung des Magazins Focus aus „Berliner Justizkreisen“.
In derselben Meldung wird auch ein (angeblicher) „Top-Beamter der Spionageabwehr“ zitiert:
„In der deutschen Spionageabwehr gibt es zunehmend Zweifel an der Authentizität der über Wikileaks veröffentlichen angeblichen NSA-Dokumente. Ein hoher Verfassungsschützer gibt zu bedenken, dass Russlands Geheimdienst womöglich direkten Zugriff auf die Dossiers von Edward Snowden hatte, der sich in Moskau aufhält. „Wir kennen diese Tricks aus dem Kalten Krieg“, sagte der Topbeamte. „Der Osten frisierte solches Material und lancierte es zur Desinformation in den Westen. Dort waren dann alle ganz aufgeregt.“
Dies erscheint mir allerdings eher wie die Aussage von jemandem, der vom Versagen der eigenen Behörde bei der Spionageabwehr ablenken will.
Was in der allgemeinen Öffentlichkeit wenig bekannt ist: Selbst wenn der GBA die Ermittlungen wieder aufnehmen sollte und selbst wenn diese Ermittlungen, etwa nach Eingehen auf das Angebot von Julian Assange, weitere Details zu nennen erfolgreich verliefen, könnten außenpolitische Motive für den GBA immer noch eine „Notbremse“ gegen die Ermittlungen bieten, indem §§ 153 c oder 153 d StPO etwa i.V.m. § 120 Abs.1 Nr.3 GVG (§§ 98, 99 StGB), angewendet würde.
Dass außenpolitische Motive, sprich: das gute Verhältnis zur USA und insbesondere ihren Geheimdiensten, der eigentliche Hintergrund für die zögerliche Reaktion der Justiz ist, kann man ja schon längere Zeit vermuten. Das Kanzleramt verweigert wahrscheinlich mit eben dieser Motivlage dem NSA-Untersuchungsausschuss die Vorlage der so genannten Selektorenliste, unter deren Anwendung der BND dem NSA bei der Datenausspähung zugearbeitet haben soll.
Siehe zum Thema schon den Beitrag von Prof. v. Heintschel-Heinegg, hier im Blog.
Auch wenn infolge öffentlichen Drucks Ermittlungen wieder aufgenommen werden: Eine Anklageerhebung liegt in weiter Ferne.
Update (30.07.2015)
Zum Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen von netzpolitik.org wegen Landesverrats
Man wird abwarten müssen, wie das Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen von netzpolitik.org ausgeht. Aber einerseits nicht einmal einen Anfangsverdacht zu bejahen wegen der unerhörten, von deutschen Geheimdiensten offenbar unterstützten Spionage gegen Bürger und Politiker des eigenen Staates durch die NSA, andererseits stante pede ein Ermittlungsverfahren wegen Landesverrats einzuleiten gegen Journalisten, aufgrund der Strafanzeige des Behördenleiters einer Behörde, die sich im vergangenen Jahrzehnt als skandalös unfähig erwiesen hat, terroristische Gefahren von rechts zu erkennen und einzudämmen - diese Koinzidenz ist es, die geeignet ist, das Vertrauen in die Behörden BfV und GBA und ihre derzeitigen Leitungen nachhaltig zu stören. Man kann nur hoffen, dass die Justiz, notfalls das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit erhält, ein deutliches Wort für die Presse- und Informationsfreiheit zu sprechen und Geheimdienste und politisch orientierte Strafverfolgung in ihre rechtsstaatlichen Schranken zu weisen.
Update Nr.2 (30.07.2015) Im Ermittlungsverfahren geht es um den Vorwurf des Landesverrats nach § 94 Abs.1 Nr.2 StGB, siehe dokumentiertes Schreiben an Netzpoltik:
§ 94 Abs.1 StGB lautet:
(1) Wer ein Staatsgeheimnis
1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder 2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen,und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
Der Begriff Staatsgeheimnis ist in § 93 StGB definiert:
Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.
Diesen Tatbestand sollen die Netzpolitik-Verantwortlichen erfüllt haben, indem sie unter Geheimhaltung stehende Schriftstücke des Verfassungsschutzes, die ihnen zugespielt wurden, veröffentlichten.
Es geht dabei um die Artikel: "Geheimer Geldregen - Verfassungsschutz arbeitet an „Massendatenauswertung von Internetinhalten“" vom 25.02.2015 und "Geheime Referatsgruppe: Wir enthüllen die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung" vom 15.04.2015, beide auf netzpolitik.org.
Zwar beinhalteten beide Artikel die Veröffentlichung von Geheimdokumenten des BfV, z.B. zum Budget und zum Konzept einer Referatsgruppe zur Überwachung des Internet, jedoch setzt § 94 StGB die (vorsätzliche) konkrete Gefährdung der äußeren Sicherheit der Bundesrepublik voraus. Inwieweit die äußere Sicherheit von der Veröffentlichung überhaupt betroffen ist, erscheint mir höchst fraglich und dies hätte - wenn man den Maßstab des GBA in der Frage NSA anlegt - zunächst Anlass gegeben, VOR dem Ermittlungsverfahren zu prüfen, ob diese Voraussetzung gegeben ist. Schon das Vorliegen von Staatsgeheimnissen erscheint sehr fragwürdig. Nun soll angeblich erst ein Gutachter beauftragt werden, um den diesbezüglichen Status der Schriftstücke erst einmal zu prüfen (Quelle):
Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE soll zunächst geprüft werden, ob durch die Veröffentlichung tatsächlich "Staatsgeheimnisse" verraten wurden. Dazu soll bereits von der Bundesanwaltschaft ein Gutachter beauftragt worden sein. Sollte der zum Schluss kommen, dass das nicht der Fall ist, könnte das Verfahren rasch wieder eingestellt werden.
Zudem erfordert der Landesverrat nach seinem Wortlaut die Absicht, die BRD zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen (sonst liegt allenfalls § 95 oder § 97 StGB vor, die aber objektiv ebenfalls Staatsgeheimnis und konkrete Nachteilsgefahr voraussetzen). Der subjektive Tatbestand des § 94 StGB ist im vorliegenden Fall sehr fernliegend; es gibt dafür schlicht keinerlei Anhaltspunkte im Verhalten der Verantwortlichen von netzpolitik.org. In den inkriminierten Artikeln auf Netzpolitik ergibt sich außerdem jeweils, dass die Tatsachen der Einrichtung der Referatsgruppe zur Internetüberwachung längst in der Presse bekannt waren, lediglich der genaue Wortlaut der Schriftstücke und Einzelheiten waren bis dahin noch nicht bekannt.
Update 31.07.2015: Gerade meldet die FAZ, GBA Range habe die Ermittlungen gegen Netzpolitik gestoppt! Allerdings bedeutet dies wohl keine Einstellung des Verfahrens, sondern lediglich die Aussetzung konkreter Ermittlungsmaßnahmen. Solche, wie etwa Durchsuchungen, Zeugenvernehmungen etc. waren aber ohnehin wohl nicht geplant. Nun wird erst einmal das Gutachten zum "Staatsgeheimnis" abgewartet.
Wohlwollend könnte man dies so deuten: Der GBA will durch das Gutachten ein für allemal klären lassen, welche vom Verfassungsschutz als "vertraulich" eingestufte Papiere unter welchen Voraussetzungen "Staatsgeheimnisse" im Sinne des § 93 StGB darstellen. Dann könnte er zukünftig dem VS gegenüber legitimieren, wenn er nicht ermittelt. Bei der Strafanzeige gegen netzpolitik.org hat er die Gelegenheit dazu ergriffen, diese Frage einmal gutachtlich klären zu lassen.
Weniger wohlwollend: Der GBA hat tatsächlich ermittelt und bekommt jetzt Ohrensausen von der Reaktion der Öffentlichkeit. Zu deren Beruhigung spricht er von "Stopp" der Ermittlungen bzw. bloßes Warten auf das Gutachten. Es waren aber ohnehin derzeit keine anderen Maßnahmen geplant.