Erste Verfassungsbeschwerden gegen das Tarifeinheitsgesetz eingelegt
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Es war zu erwarten: Unmittelbar nach Inkrafttreten des umstrittenen Tarifeinheitsgesetzes am 10.7.2015 haben mehrere kleine Gewerkschaften Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben und zugleich den Antrag gestellt, die Anwendung des Gesetzes bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde einstweilen auszusetzen. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit sehen das Streikrecht eingeschränkt und wollen das Gesetz mit dem Gang nach Karlsruhe zu Fall bringen, wie die Organisationen am Freitag mitteilten. Der Marburger Bund (Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands) begründet seine Verfassungsbeschwerde damit, dass das Tarifeinheitsgesetz im Kern einen Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz darstellt. In den Erklärungen des Marburger Bundes heißt es: „Das Tarifeinheitsgesetz richtet sich faktisch gegen eine berufsspezifische gewerkschaftliche Interessenvertretung, wie sie der Marburger Bund verkörpert. Die freie Wahl der Gewerkschaft, wie sie unser Grundgesetz garantiert, wird durch die Privilegierung der Großgewerkschaften zur Disposition gestellt.“ Und: „Eine Minderheitsgewerkschaft, die die Arbeitsbedingungen für ihre Mitglieder nicht mehr eigenverantwortlich und verbindlich aushandeln und durchsetzen kann, wird zwangsläufig an Attraktivität verlieren.“ Der Marburger Bund beauftragte den Göttinger Universitätsprofessor für Öffentliches Recht und Europarecht, Frank Schorkopf, mit der Vertretung beim Bundesverfassungsgericht. Auch der Vorsitzende der Pilotengewerkschaft Cockpit, Ilja Schulz, beklagte, dass mit dem Tarifeinheitsgesetz ein elementarer Grundsatz der Verfassung ausgehöhlt und kleineren Gewerkschaften die Möglichkeit genommen werde, notfalls per Arbeitskampf die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Cockpit wird bei ihrer Verfassungsbeschwerde durch den ehemaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP) vertreten. GDL-Sprecher Stefan Mousiol sagte AFP am Freitag, die Verfassungsbeschwerde seiner Gewerkschaft werde derzeit weiter vorbereitet. Den Verfassungsbeschwerden werden von vielen Arbeitsrechtlern gute Erfolgsaussichten attestiert. Dass das Bundesverfassungsgericht den Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz stattgibt, wird hingegen überwiegend für unwahrscheinlich gehalten.