Das "Mollath-Gesetz" zur verhältnismäßigen Begrenzung der Unterbringung in der Psychiatrie - neuer Diskussionsentwurf
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat in dieser Woche einen Diskussionsentwurf zur "Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB" vorgelegt. Die Intention zur Novellierung entstammt der Beobachtung, dass immer mehr Personen aufgrund dieser Vorschrift untergebracht sind, vor allem, weil die durchschnittliche Unterbringungsdauer gravierend angestiegen ist. Durch die besondere Öffentlichkeit des Falls Mollath in den vergangenen zwei Jahren wurde eine Reform zusätzlich für dringlich erachtet. In der Medienöffentlichkeit wurde und wird daher die Verbindung zum Fall Mollath regelmäßig hergestellt, auch wenn es sich durchaus nicht um Einzelfallgesetzgebung handelt, sondern tausende Untergebrachte direkt oder indirekt betroffen sind (FAZ-Interview mit dem bayerischen Justizminister).
Der Diskussionsentwurf entspricht in wesentlichen Punkten demjenigen des bayerischen Justizministers, der schon im vergangenen Jahr veröffentlicht wurde (dazu hier im Blog).
Folgende zentrale Punkte stehen auf der Agenda
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (bisher allgemein in § 62 StGB vorangestellt) wird nun konkretisiert:
In § 63 StGB soll nicht mehr die Erwartung "erheblicher rechtswidriger Taten" genügen, sondern nur noch solche Taten, "durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird". Wenn die Anlasstat nicht selbst in diesem Sinne erheblich ist, soll eine Unterbringung nur noch möglich sein, wenn „besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen“, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
In § 67d Abs.6 StGB soll der bisher gegenüber § 63 StGB nicht veränderte Verhältnismäßigkeitsmaßstab verschärft werden. Dies entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, das in mehreren Entscheidungen (u.a. auch zu Gustl Mollath) ausgeführt hat, dass mit der Dauer der Unterbringung die Verhältnismäßigkeit einer weiteren Unterbringung eine strengere Bewertung gebiete. Der jetzige Entwurf sieht vor, nach sechs Jahren seit Unterbringungsbeginn eine Gefahr von Taten, durch die "Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder in die Gefahr einer schweren körperlichen oder seelischen Schädigung" gebracht werden, zu fordern – also mehr als nur jeweils erhebliche personenbezogene Schäden zu befürchten sind. Ab dem Zeitpunkt zehn Jahre seit Unterbringungsbeginn soll derselbe Maßstab gelten wie für die Sicherungsverwahrung (§ 67d Abs. 3 StGB).
Auch für die Begutachtung werden schärfere Regelungen eingeführt: Bei der jährlichen Überprüfung der Unterbringung soll nun eine "gutachterliche Stellungnahme" der Maßregelvollzugseinrichtung Pflicht werden - bisher stand dies nicht im Gesetz. Nach jeweils drei Jahren (bisher fünf) muss ein externes Gutachten eines „anderen“ Sachverständigen eingeholt werden, diese Frist verkürzt sich auf zwei Jahre, wenn sechs Jahre überschritten sind.
Auch im Hinblick auf die mündliche Anhörung bei der Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung folgt der Diskussionsentwurf dem bayerischen Vorschlag. Allerdings bleibt er hinter dem bayerischen Entwurf zurück, insoweit nicht mehr – auf Antrag des Untergebrachten –die Öffentlichkeit der Anhörung vorgesehen ist.
Wegen der Tausenden von „Altfällen“ ist eine Anwendung der neuen Regeln bzw. die Überprüfung bereits bestehender Unterbringungen nur mit Übergangsmodifikationen möglich, da man sonst wohl mit einem größeren Stau rechnen müsste und einem Bedarf an Begutachtungen, der kaum ad hoc erfüllt werden könnte – man rechnet sonst mit ca. 6000 Verfahren im ersten Jahr.
Dieser Entwurf geht in die richtige Richtung: Die Entwicklung der vergangenen Jahre zu immer längeren Unterbringungsdauern wird gesetzlich gebremst, vielleicht sogar eine Trendumkehr bewirkt. Die Rechtsprechung des BVerfG zur Verhältnismäßigkeit der Unterbringung wird implementiert. Aber natürlich ist zu konstatieren, dass zentrale Fehlerursachen, die dem Fall Mollath zugrunde gelegen haben, vor allem die unzureichende gegenseitige kritische Kontrolle von Justiz und forensischer Psychiatrie (siehe schon hier), damit nicht beseitigt sind.