Zweimal Weimarer Reichsverfassung in einer Woche
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Innerhalb von nur einer Woche haben zwei über Art. 140 GG fortgeltende Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung (WRV) für Aufsehen gesorgt: Erst veröffentlichte das BVerfG seinen Beschluss vom 22.10.2014, mit dem es der Verfassungsbeschwerde der Caritas gegen ein Urteil des BAG stattgab, weil dieses Art. 137 Abs. 3 WRV verletze. Den Beschluss hat Markus Stoffels hier im BeckBlog ausführlich vorgestellt, er wird sehr kontrovers diskutiert.
Nur drei Tage später kassierte dann das BVerwG Teile der Hessischen Bedarfsgewerbeverordnung, weil sie gegen den in Art. 139 WRV und § 10 ArbZG niedergelegten Schutz des Sonntags verstoße. Die Verordnung ist insoweit nichtig, als sie eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen in den Bereichen Videotheken und öffentliche Bibliotheken, Callcentern und Lotto- und Totogesellschaften zulässt. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es dazu:
In der Sache ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern in Videotheken und öffentlichen Bibliotheken an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung nach einer Freizeitgestaltung nicht erforderlich, weil DVDs, Computerspiele oder Bücher für eine Nutzung am Sonn- oder Feiertag vorausschauend schon an Werktagen ausgeliehen werden können. Es stellt keinen erheblichen Schaden i.S.d. des Gesetzes dar, wenn der Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe nicht hinter den Wunsch zurücktreten muss, spontan auftretende Bedürfnisse auch sofort erfüllt zu bekommen. Aus den gleichen Gründen ist eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Lotto- und Totogesellschaften zur elektronischen Geschäftsabwicklung nicht erforderlich. Soweit die Verordnung eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Callcentern zulässt, ist sie mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht vereinbar, weil sie eine solche Beschäftigung in allen gegenwärtig und künftig vorhandenen Callcentern zulässt, gleichgültig für Unternehmen welcher Branche oder für welchen Tätigkeitsbereich das Callcenter tätig wird. Dass der Betrieb von Callcentern in diesem Umfang erforderlich ist, um tägliche oder an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, lässt sich nicht feststellen.
Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor (BVerwG, Urt. vom 26.11.2013 - 6 CN 1.13).
Erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen dürfte das Urteil des BVerwG vor allem für Call-Center haben. Viele Unternehmen sehen es heute als selbstverständlich an, ihren Kunden rund um die Uhr (24/7) eine telefonische Kontaktaufnahme zu ermöglichen. Wenn der sonntägliche Betrieb von Call-Centern in Deutschland weithin untersagt wird, stellt sich die Frage, ob man entweder den Service tatsächlich einstellt oder ein im Ausland gelegenes Call-Center beauftragt. Letzteres birgt für die deutschen Call-Center-Betreiber das Risiko, das sie den gesamten Auftrag, auch für die Werktage, an die ausländische Konkurrenz verlieren. Von dem Urteil sicher nicht betroffen sind Notrufzentralen von Not- und Rettungsdiensten sowie der Feuerwehr (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG); offen ist, ob z.B. auch die Schadensannahme von Versicherungsunternehmen betroffen ist.