Drei BAG-Urteile zum Antidiskriminierungsrecht an einem Tag
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Der 18. September 2014 hat eine Entscheidungstrias zum Antidiskriminierungsrecht hervorgebracht, die in drei Pressemitteilungen ihren Niederschlag gefunden hat. Im ersten Fall (Az. 6 AZR 636/13) war der 6. Senat zur Entscheidung berufen. Zu überprüfen war, ob die verlängerten Kündigungsfristen bei längerer Betriebszugehörigkeit (§ 622 Abs. 2 S. 1 BGB) vor dem Verbot der Altersdiskriminierung bestehen. Immerhin ist ja schon § 622 Abs. 2 S. 2 BGB seit der Kücükdeveci-Entscheidung des EuGH (19.1.2010, NZA 2010, 85) nicht mehr anwendbar. Allerdings sollte die Rechtfertigung der verlängerten Kündigungsfristen eher möglich erscheinen. In diesem Sinne hat jetzt das BAG entschieden und damit für Rechtssicherheit gesorgt. Zwar führe die Differenzierung der Kündigungsfrist nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit zu einer mittelbaren Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Die Verlängerung der Kündigungsfristen durch § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB verfolge jedoch das rechtmäßige Ziel, länger beschäftigten und damit betriebstreuen, typischerweise älteren Arbeitnehmern durch längere Kündigungsfristen einen verbesserten Kündigungsschutz zu gewähren. Zur Erreichung dieses Ziels sei die Verlängerung auch in ihrer konkreten Staffelung angemessen und erforderlich iSd. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i) RL 2000/78/EG. Darum liegt keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters vor. Das war zu erwarten. Bemerkenswert ist nur, dass das BAG von einer Vorlage an den EuGH absieht, offenbar weil es die Rechtslage für klar und eindeutig erachtet.
In den beiden anderen vom 8. Senat (8 AZR 759/13) entschiedenen Streitverfahren ginge es um Fallkonstellationen der Einstellungsdiskriminierung. Recht häufig werden Entschädigungsklagen von schwerbehinderten Bewerbern erhoben, die sich übergangen fühlen. Dabei geht meist um die besonderen Pflichten des Arbeitgebers gegenüber behinderten Bewerbern im Bewerbungsverfahren. Öffentliche Arbeitgeber sind hier sogar grundsätzlich verpflichtet, behinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber Kenntnis von der Schwerbehinderung erlangt. In diesem Zusammenhang bestätigt der Senat seine bisherige Rechtsprechung und schreibt in der Pressemitteilung: „Auf die Schwerbehinderteneigenschaft ist gegebenenfalls im Bewerbungsanschreiben oder unter deutlicher Hervorhebung im Lebenslauf hinzuweisen. Unauffällige Informationen oder eine in den weiteren Bewerbungsunterlagen befindliche Kopie des Schwerbehindertenausweises sind keine ausreichende Information des angestrebten Arbeitgebers“. Neu ist nun folgende einleuchtende Präzisierung: „Die Mitteilung hat bei jeder einzelnen Bewerbung erneut zu erfolgen. Entscheidend ist die Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des SGB IX im Zeitpunkt der Bewerbung, nicht zu einem früheren Zeitpunkt. Auch ist das Datenschutzrecht zu berücksichtigen. Es liegt in der Entscheidung des schwerbehinderten Menschen, ob er die Schwerbehinderung bei der Bewerbung nach SGB IX berücksichtigt haben will oder nicht.“
Die letzte Entscheidung (8 AZR 753/13) widmet sich wiederum der Geschlechtsdiskriminierung bei der Einstellung und führt die sog. GEMA-Entscheidung (22.7.2010, NZA 2011, 93) weiter fort, erinnert aber auch den sog. Ossi (-)-Fall des ArbG Stuttgart (becklink 1006149). Folgendes hatte sich zugetragen: Die Klägerin bewarb sich bei einem lokalen Radiosender auf eine Vollzeitstelle als Buchhaltungskraft. Im beigefügten Lebenslauf wies sie auf ihre Ausbildungen als Verwaltungsfachfrau und zur Bürokauffrau hin. Außerdem gab sie dort an „Familienstand: verheiratet, ein Kind“. Bald darauf erhielt sie eine Absage. Auf dem zurückgesandten Lebenslauf war der Angabe zum Familienstand hinzugefügt „7 Jahre alt!“. Dies und die von der Klägerin stammende Angabe „ein Kind“ waren unterstrichen. Das LAG Hamm hatte den beklagten Radiosender wegen mittelbarer Benachteiligung zu einer Entschädigung iHv. 3.000,00 € verurteilt worden und hierfür auch eine Statistik (Mikrozensus) herangezogen. Dies missbilligt das BAG und bestätigt damit seine eher reservierte Einstellung gegenüber Statistiken zum Nachweis von Diskriminierungen. Das BAG verlangt: „Die herangezogene Statistik muss aussagekräftig, dh. für die umstrittene Fallkonstellation gültig sein.“ Die vom Berufungsgericht herangezogene Statistik (Mikrozensus) für den Anteil von Ehefrauen mit Kind an der Gesamtzahl der Vollbeschäftigten lasse hingegen keine Aussagen für den Fall der Klägerin zu. Allerdings gibt das BAG dem LAG auf, zu prüfen, ob in dem Verhalten der Beklagten nicht eine unmittelbare Benachteiligung der Klägerin als Frau zu sehen ist, was eine Auslegung des Vermerks auf dem zurückgesandten Lebenslauf erfordere.