OLG Schleswig, der Fahrradhelm ... und ein Kommentar des Bloglesers Dr. Bokelmann
Gespeichert von Carsten Krumm am
Blogleser wird die Entscheidung des Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 05.06.2013 - 7 U 11/12 nicht allzu überrascht haben. Die Öffentlichkeit, namentlich die Tagespresse hat die Sache aber ausgeschlachtet: Welche Bedeutung hat das Nichttragen des Fahrradhelms im Falle eines Unfalls? Eigentlich wollte ich dazu gar nichts bringen, dann bekam ich aber diese Zuschrift des Bloglesers Dr. Frank Bokelmann, die ich den anderen Bloglesern mit Einverständnis des Autors bekanntmachen möchte:
Sehr geehrter Herr Krumm,
Sie haben erstaunlicherweise noch nicht über das Urteil des OLG Schleswig-Holstein vom. 05.06.2013 - 7 U 11/12 berichtet, das seit Tagen den Blätterwald rauschen läßt.
Wenn Sie jetzt berichten, empfehle ich einen Hinweis auf den Kommentar von Prof. Dr. Dieter Müller von heute auf LTO "Helmpflicht durch die Hintertür":
http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/olg-schleswig-holstein-urteil-7-...
Das Urteil wird von Prof. Dr. Müller zutreffend kritisiert, wobei er aus juristischer Sicht noch nicht einmal Rückgriff darauf nimmt, dass die Helmpflicht neben dem direkten (wahrscheinlich positiven) Einfluß auf die Unfallfolgen erhebliche bedenkliche Folgen für die Volksgesundheit hätte.
Es ist aber unwahrscheinlich, daß die 90% Radfahrer, die bisher keinen Helm trugen, jetzt damit anfangen. Sie werden wahrscheinlich aufhören, das Fahrrad zu benutzen. Damit würde einer ohnehin bewegungsarmen Gesellschaft ein weiterer Zugang zur "Bewegung nebenbei" versperrt. Aus diesem Grund verzichtet die Politik bisher trotz mehrerer entsprechender Vorschläge ausdrücklich auf die Einführung einer Helmpflicht und wartet ab, ob die Tragequote sich von alleine erhöht, so daß eine später eingeführte Helmpflicht geringere Nebenwirkungen hätte. Nun schwingen sich ein paar Richter zum Hilfsverordnungsgeber auf.
Deutlich heftiger zu kritisieren ist die beklagte Versicherung, die ausweislich des Urteils eine Mitverschuldensquote von 50% forderte. Das ist schon vor dem Hintergrund eines eindeutigen Verstoßes gegen § 14 StVO durch den ebenfalls verklagten Versicherungsnehmer im Urteilsfall eine Frechheit.
Aber das wundert mich nicht wirklich. Schon vor zwanzig Jahren wurde die Regulierung eines gebrochenen Arms erst nach der Beantwortung der Frage vorgenommen, ob ich denn einen Helm getragen hätte. Was für einen Zusammenhang die Versicherung in diesem Fall wohl gesehen hat?
Ach so - aus der Pressemitteilung des OLG Schleswig:
Kollidiert ein Radfahrer im öffentlichen Straßenverkehr mit einem anderen - sich verkehrswidrig verhaltenden - Verkehrsteilnehmer (Kfz; Radfahrer usw.) und erleidet er infolge des unfallbedingten Sturzes Kopfverletzungen, die ein Fahrradhelm verhindert oder gemindert hätte, muss er sich grundsätzlich ein Mitverschulden wegen Nichttragens eines Fahrradhelms anrechnen lassen. Dies hat der 7. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vergangene Woche entschieden und im konkreten Fall den Mitverschuldensanteil mit 20 % bemessen.
Zum Sachverhalt: Die Klägerin fuhr mit ihrem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit auf einer Straße. Sie trug keinen Fahrradhelm. Am rechten Fahrbahnrand parkte ein PKW. Die Halterin des PKW öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Fahrradfahrerin von innen die Fahrertür, so dass die Radfahrerin nicht mehr ausweichen konnte, gegen die Fahrertür fuhr und zu Boden stürzte. Sie fiel auf den Hinterkopf und zog sich schwere Schädel-Hirnverletzungen zu, die einen zweimonatigen Krankenhausaufenthalt erforderten und anschließend eine ambulante Weiterbehandlung. Da die ärztliche Behandlung und die berufliche Wiedereingliederung noch nicht abgeschlossen waren, verlangte die Fahrradfahrerin vor Gericht zunächst die Feststellung, dass die Halterin des PKW und deren KFZ- Haftpflichtversicherung verpflichtet sind, ihr alle aus dem Unfall entstandenen und zukünftig entstehenden Schäden zu ersetzen, insbesondere auch ein Schmerzensgeld zu zahlen. Die Halterin des PKW und ihre Versicherung verteidigten sich damit, dass die Fahrradfahrerin ein Mitverschulden an den Kopfverletzungen treffe, weil sie keinen Helm getragen habe.
Aus den Gründen: Die Fahrradfahrerin trifft ein Mitverschulden an den erlittenen Schädelverletzungen, weil sie keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen hat (sogenanntes Verschulden gegen sich selbst). Der Mitverschuldensanteil wird im konkreten Fall mit 20% bemessen. Hierbei berücksichtigt das Gericht zum einen, dass ein Helm nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen die Kopfverletzung der Fahrradfahrerin zwar in einem gewissen Umfang hätte verringern, aber nicht verhindern können, und zum anderen, dass das grob fahrlässige Verhalten der Halterin des PKW den Mitverschuldensanteil der Fahrradfahrerin deutlich überwiegt.
Zwar besteht für Fahrradfahrer nach dem Gesetz keine allgemeine Helmpflicht. "Fahrradfahrer sind heutzutage jedoch im täglichen Straßenverkehr einem besonderen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Der gegenwärtige Straßenverkehr ist besonders dicht, wobei motorisierte Fahrzeuge dominieren und Radfahrer von Kraftfahrern oftmals nur als störende Hindernisse im frei fließenden Verkehr empfunden werden. Aufgrund der Fallhöhe, der fehlenden Möglichkeit, sich abzustützen (die Hände stützen sich auf den Lenker, der keinen Halt bietet) und ihrer höheren Geschwindigkeit, z.B. gegenüber Fußgängern, sind Radfahrer besonders gefährdet, Kopfverletzungen zu erleiden. Gerade dagegen soll der Helm schützen. Dass der Helm diesen Schutz auch bewirkt, entspricht der einmütigen Einschätzung der Sicherheitsexperten und wird auch nicht ernsthaft angezweifelt. Die Anschaffung eines Schutzhelms ist darüber hinaus wirtschaftlich zumutbar. Daher kann nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm tragen wird, soweit er sich in den öffentlichen Straßenverkehr mit dem dargestellten besonderen Verletzungsrisiko begibt."
Vielen Dank, Herr Dr. Bokelmann!!!
Hinweis: Vielleicht finden ja auch andere Blogleser Themen oder Entscheidungen, auf die sie hinweisen oder die sie besprechen wollen. Nur Mut!