LAG Hamm zur Anfechtung eines Prozessvergleichs
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Der Kläger macht Lohnansprüche geltend. Seiner Auffassung nach hat die Beklagte ihm zu wenig Arbeitsentgelt gezahlt. In erster Instanz obsiegt er. Die Beklagte legt Berufung zum LAG Hamm ein. In der mündlichen Verhandlung unterbreitet das Berufungsgericht einen Vergleichsvorschlag: Der Tariflohn betrage für eine 35-Stunden-Woche rund 2.900 Euro. Da der Kläger in dem (nicht tarifgebundenen) Betrieb der Beklagten 40 Wochenstunden arbeitet und zudem anteilig Urlaubs- und Weihnachtsgeld beanspruchen kann, solle die Beklagte ihm 18.000 Euro nachzahlen. Sein Monatsentgelt solle sich künftig auf 3.500 Euro belaufen. Kläger und Beklagte nehmen den Vergleichsvorschlag an.
Schon am nächsten Tag erklärt der Kläger gegenüber dem Gericht die Anfechtung des Vergleichs: Er habe zu Hause nachgerechnet. Unter Berücksichtigung der von ihm geleisteten 40 statt 35 Wochenstunden, einer 10%-igen Leistungszulage und anteiligem Urlaubs- und Weihnachtsgeld könne er monatlich rund 4.000 Euro beanspruchen.
Das LAG Hamm hat den Antrag des Klägers, das Berufungsverfahren fortzusetzen, abgewiesen und festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich beendet worden ist.
Der Prozessvergleich sei weder nach § 123 BGB (arglistige Täuschung) noch nach § 119 BGB (Irrtum) anfechtbar:
Weder die Berufungskammer noch die Beklagte habe den Kläger bei dem Vergleichsvorschlag arglistig getäuscht. Soweit der Kläger seine Anfechtung auf einen Irrtum stütze, liege bei ihm lediglich ein Irrtum über die rechnerischen Grundlagen des Vereinbarten vor. Ein solcher sog. Kalkulationsirrtum berechtige - gleichgültig, ob er für die Beklagte erkennbar war oder nicht - nicht zur Anfechtung. Schließlich komme auch eine Vertragsanpassung nach § 313 BGB nicht in Betracht, da diese einen gemeinsamen Irrtum beider Parteien über die Geschäftsgrundlage voraussetze. Daran fehle es hier (LAG Hamm, Urt. vom 08.11.2012 - 15 Sa 806/12).