Sprachlos in Brandenburg
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Zur Kindeswohlprüfung nochmal das OLG Brandenburg - allerdings ein anderer Senat und zur Frage der Mitsorge eines nichtehelichen Vaters:
Zwar dient es grundsätzlich dem Wohl eines Kindes, wenn es in dem Bewusstsein lebt, dass beide Elternteile für es Verantwortung tragen. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Kind - wie hier - zu beiden Elternteilen eine gute Beziehung hat und wenn sich beide um das Kind kümmern und Kontakt mit ihm pflegen. Eine gemeinsame elterliche Sorge ist allerdings nur möglich, wenn zwischen den Eltern nicht nur ein Mindestmaß an Übereinstimmung besteht, sondern wenn sie kooperationsfähig und -bereit sind und über eine angemessene Kommunikationsbasis verfügen. Entgegen der Auffassung des Vaters und auch des Amtsgerichts sind diese Voraussetzungen vorliegend nicht gegeben.
Nach dem vom Senat bei der Anhörung der Beteiligten gewonnenen Eindruck bestehen gegenwärtig bei beiden Elternteilen so erhebliche Vorbehalte gegen den jeweils anderen, dass sie ein vertrauensvolles Zusammenwirken im Interesse des Kindeswohls ausschließen. Die Mutter macht dem Vater seinen Umgang mit Alkohol und Zigaretten zum Vorwurf. Sie lehnt Kontakte mit ihm aufgrund ihrer negativen Erfahrungen in der Vergangenheit ab. Der Vater „missbrauche“ jeden direkten Kontakt, insbesondere einen solchen unter vier Augen, um sie zu beleidigen, zu bedrohen oder in sonstiger Weise einzuschüchtern.
Der Vater macht der Mutter seinerseits Vorhaltungen soweit es um ihre Einbeziehung von Dritten beim Abholen oder Bringen von D. aus der bzw. in die Kindertagesstätte sowie bei seiner Entgegennahme nach dem Besuchswochenende mit ihm geht. Ferner hat er gegenüber dem Jugendamt geäußert, D. vermittle den Eindruck, dass es ihm bei der Mutter nicht gut gehe. Diese Befürchtung entbehrt nach den Angaben und Berichten des Jugendamts, der Verfahrensbeiständin und der von D. besuchten Kita jeder Grundlage.
Ferner gibt es zwischen den beteiligten Eltern derzeit keine Gesprächsbasis. Seit dem Gesprächstermin bei der A. am 5.9.2011 gehen die Eltern im Wesentlichen „sprachlos“ miteinander um. Eine Kommunikation zwischen ihnen findet seither praktisch nicht mehr statt. Es wurden im Rahmen des Umzugs der Mutter nach Be. lediglich hinsichtlich der Organisation des Umgangs vereinzelte SMS zwischen ihnen ausgetauscht. Dies stellt jedoch keine echte (aktive) Kommunikation dar, zumal die vorgenommenen Umgangsänderungen den Wünschen des Vaters entsprochen haben. Tatsächlich relevante Fragen betreffend die Kindeswohlbelange waren damit nicht verbunden. Die Sprachlosigkeit der Eltern geht so weit, dass nach dem Bericht der Verfahrensbeiständin beide nicht einmal zu einem Gruß im Rahmen der Übergabe von D. am 2.6.2012 in der Lage waren. Dies ist umso bemerkenswerter, als die entsprechenden Zusammentreffen im Beisein der Verfahrensbeiständin stattgefunden haben und gerade auch der Vater mit Blick auf das Beschwerdeverfahren und die vom Bundesverfassungsgericht für die gemeinsame elterliche Sorge hervorgehobene Bedeutung einer angemessenen Kommunikation zwischen den Eltern weiß.
Um das gemeinsame Sorgerecht ausüben zu können, müssen die Eltern in der Lage sein, miteinander zu kommunizieren. Unterschiedliche Auffassungen der Eltern betreffend die Angelegenheiten von D. - wozu nicht erst in zwei bis drei Jahren die Frage der anstehenden Einschulung, sondern auch schon vorher etwa Fragen der Freizeitaktivitäten (Musik, Sport), Hobbys oder auch Gesundheitsfürsorge sowie medizinische Behandlungen gehören können - lassen sich nur dann kindeswohlverträglich entscheiden, wenn Gespräche zwischen den Eltern stattfinden und zumindest im Ansatz - gegebenenfalls auch schriftlich - ein Informationsaustausch sowie eine Verständigung und Kommunikation erfolgt. Unterschiedliche Vorstellungen der Eltern in tatsächlich relevanten Fragen betreffend das Kind lassen sich „sprachlos“ weder abklären noch konstruktiv zu einer Lösung bringen. Entgegen dem schriftsätzlichen und mündlichen Vorbringen des Vaters liegt eine Kooperationsfähigkeit und -willigkeit, wie sie bei einer das Kindeswohl nicht gefährdenden gemeinsamen Sorgerechtsausübung erforderlich ist, derzeit bei beiden Elternteilen nicht vor. Dies ist nicht nur der Eindruck des Senats. Auch die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt sind aufgrund von persönlichen Gesprächen mit den Eltern zu dieser Einschätzung gelangt. Sowohl das Jugendamt als auch die Verfahrensbeiständin haben in ihren vom Senat eingeholten schriftlichen Stellungnahmen vom 11.5. und 9.6.2012 ausgeführt, dass die Eltern gegenwärtig nicht fähig seien, ihre eigenen Befindlichkeiten im Interesse ihres Sohnes in den Hintergrund zu stellen und gemeinsam zu handeln. Es gebe keine Kommunikation als eine wesentliche und notwendige Voraussetzung für die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts. Auch wenn D. äußerlich noch nichts anzumerken sei, müsse davon ausgegangen werden, dass er die Probleme der Eltern bemerke und sich Verhaltensauffälligkeiten herausbilden werden, wenn es den Eltern nicht gelinge, gemeinsam zu agieren.
Die Verfahrensbeiständin hat diese Einschätzung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals bekräftigt. Sie hat darauf hingewiesen, dass im Kindeswohlinteresse eine Verbesserung des Kommunikationsverhaltens in Verbindung mit dem Versuch, gegenseitige Vorbehalte abzubauen, dringend erforderlich sei.
Soweit das Amtsgericht zu der Einschätzung gelangt ist, die Kindeseltern „dürften ... nach Inanspruchnahme einer beratenden Unterstützung durch die Erziehungs- und Familienberatungsstelle in die Lage versetzt werden, zukünftig Absprachen und Entscheidungen bezüglich des Kindes gemeinsam zu treffen“ bzw. es sei davon auszugehen, dass die Kindeseltern „grundsätzlich bereit und in der Lage sind, die Elternverantwortung für das gemeinsame Kind D. gemeinsam zu übernehmen“, ist dem nicht grundsätzlich zu widersprechen. Im Ansatz hält der Senat die Eltern nach dem persönlichen Eindruck im Rahmen der Anhörung am 12.6.2012 durchaus für in der Lage, dieses Ziel bei entsprechendem ernsthaften Bemühen in der Zukunft zu erreichen. Gegenwärtig fehlt es jedoch an einem konstruktiven Miteinander und an dem unverzichtbaren Mindestmaß einer Kooperationsfähigkeit und -willigkeit. Experimente verbieten sich im Interesse des Kindeswohls. Das gilt umso mehr, als seit dem Gesprächstermin bei der A. am 5.9.2011 auch aufseiten des Vaters ein wirkliches Bemühen um die notwendige Herstellung/Verbesserung der Kommunikation zwischen den Eltern nicht zu erkennen ist. Er hat auch im Senatstermin keine eigenen Versuche aufgezeigt, die auf eine notwendige Erarbeitung einer neuen Kommunikationsbasis mit der Mutter zielen. Im Gegenteil zeigen die schriftsätzlichen und mündlichen Schuldzuweisung an die Mutter allein, dass der Vater selbst nicht in der Lage ist, seine eigene (Mit-) Verantwortlichkeit an der nicht funktionierenden Kommunikation zwischen beiden Eltern zu erkennen und sein eigenes Kommunikationsverhalten zu verändern und zu verbessern.
OLG Brandenburg v. 25.06.2012 10 UF 45/12