Armer Vater - Reiche Mutter
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern entfällt ganz oder teilweise nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB, wenn ein anderer leistungsfähiger Verwandter vorhanden ist, dem auch bei einer Unterhaltsleistung sein eigener angemessener Unterhalt verbleibt. Als solcher kommt auch der nicht barunterhaltspflichtige Elternteil in Betracht. Denn der Grundsatz der Gleichwertigkeit von Barunterhalt und Betreuung gilt nicht uneingeschränkt, insbesondere dann nicht, wenn die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des betreuenden Elternteils deutlich günstiger sind als die des anderen Elternteils. Eine andere Regelung ist somit angezeigt, wenn die - auch fiktiven - Einkünfte der Eltern derart voneinander abweichen, dass die Inanspruchnahme des grundsätzlich barunterhaltspflichtigen Elternteils zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht führen würde.
So war es in einem Fall des OLG Brandenburg
Der auf die Zahlung von Mindestunterhalt in Anspruch genommene Vater ist von Beruf Buchhändler, war jedoch in diesem Beruf seit rund 30 Jahren nicht mehr tätig. Er hat zusammen mit der Kindesmutter den Pflegedienst L. GmbH B. aufgebaut und ging nach der Trennung verschiedenen Erwerbstätigkeiten als Finanzkaufmann in der Baubranche, Seminarleiter sowie Berater für Baufinanzierungen bzw. Versicherungsagent nach. In der Zeit vom 1.9.2008 bis 28.2.2010 erhielt er Leistungen nach dem ALG I. Seither bezieht er Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende. Er ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Das OLG unterstellt ihm ein fiktives Nettoeinkommen von 1.500 €.
Die Kindesmutter verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von 6.500 € (5.100 € als Geschäftsführerin der Pflegedienst L. GmbH B. + 1.400 € Pension), von dem nach Abzug der Beiträge zur Alters- und Krankenvorsorge von 800 € noch 5.700 € verbleiben.
Damit stehen nach Abzug des angemessenen Selbstbehalts von 1.150 € auf Seiten der Mutter 4.550 € (=5.700 € - 1.150 €), auf Seiten des Antragsgegners nur 350 € (=1.500 € fiktives Einkommen - 1.150 €) für den Kindesunterhalt zur Verfügung.
Dem Antragsgegner verbliebe etwa 1/10 des Betrages, der der Mutter verbleibt. Mithin besteht ein so gravierendes Ungleichgewicht zwischen den Einkünften der Mutter und dem fiktiven Einkommen des Antragsgegners, dass nicht nur die gesteigerte Erwerbspflicht entfällt bzw. der Unterhaltsanspruch auf das den angemessenen Selbstbehalt übersteigende Einkommen beschränkt ist, sondern die Barunterhaltspflicht des Antragsgegners sogar vollständig entfällt.
OLG Brandenburg v. 12.06.2012 - 10 UF 344/11