Der herzlose Vater?
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Nach schwerer Krankheit verstarb die alleinsorgeberechtigte Mutter des 12-jährigen nichtehelichen Kindes O. Das Amtsgericht ordnete Vormundschaft an und bestellte die Tante des Jungen (die Schwester der Mutter) zum Vormund. O lebt in der Familie seiner Tante zusammen mit deren Ehemann.
O. hat im Rahmen seiner Anhörung durch die zuständige Familienrichterin erklärt, dass er sich im Haushalt seiner Tante wohl fühle und dort weiter leben möchte. Eine Übersiedlung in den Haushalt des Vaters lehne er ab. Während des laufenden Verfahrens hat O. seine ablehnende Haltung gegenüber seinem Vater verstärkt. Dem Verfahrensbeistand und der zuständigen Familienrichterin hat er in dem Parallelverfahren zum Umgangsrecht des Vaters mitgeteilt, dass er seinen Vater nicht mehr sehen wolle, er wolle von diesem einfach in Ruhe gelassen werden.
Der Vater hat gegen die Anordnung der Vormundschaft Beschwerde eingelegt und ausgeführt, die Tante fördere nicht hinreichend in den Kontakt zwischen Vater und Sohn.
Das OLG hat den Willen des Kindes bei seiner Entscheidung für ausschlaggebend gehalten:
Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei einer Entscheidung über die elterliche Sorge sowohl dem Elternrecht aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes als auch der Grundrechtsposition des Kindes aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes Rechnung zu tragen. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Rechte sei jedoch zu berücksichtigen, dass im Bereich des Artikels 6 Absatz 2 des Grundgesetzes das Wohl des Kindes immer das entscheidende Kriterium bilde, so dass dieses bei Interessenkonflikten zwischen dem Kind und seinen Eltern letztlich bestimmend sein müsse. Das Kind sei ein Wesen mit eigener Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Es bedürfe des Schutzes und der Hilfe, um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln. In einem Sorgerechtsverfahren sei der Wille des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar sei. Jede gerichtliche Lösung eines Konflikts, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirke, müsse nicht nur auf das Wohl des Kindes ausgerichtet sein, sondern das Kind auch in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen, weil die sorgerechtliche Regelung entscheidenden Einfluss auf das weitere Leben des Kindes nehme und es daher unmittelbar betreffe. Habe der Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, weil das Kind noch nicht in der Lage sei, sich einen eigenen Willen zu bilden, so komme ihm mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit des Kindes vermehrte Bedeutung zu
Der Senat ist überzeugt, dass das Wohl des inzwischen 12- und ...-jährigen O. erheblich gefährdet würde, wenn sein ernsthaft geäußerter Wille bei der Sorgerechtsentscheidung übergangen würde. O. ist durch den Tod seiner Mutter ohnehin stark belastet. Sein Vater sollte den Wunsch seines Sohnes, im Haushalt seiner Tante weiterzuleben und dort zur Ruhe zu kommen, respektieren.
Zu den Vorwürfen des Vaters an die Tante führt der Senat aus:
Die Behauptung des Kindesvaters, die Antragstellerin fördere nicht hinreichend in den Kontakt zwischen Vater und Sohn, gebietet keine andere Entscheidung. Denn es bestehen objektiv keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kontaktabbruch auf eine mangelnde Förderung der Beziehungen zwischen Vater und Sohn durch die Antragstellerin zurückzuführen ist. Bereits vor dem Tod der Mutter hat O. zeitweise den Umgang mit dem Vater verweigert und ihn dann wieder aufgenommen. Unmittelbar nach dem Tod der Mutter fanden ebenfalls persönliche Kontakte statt. Erst im Laufe des Verfahrens ist erneut eine Verweigerungshaltung des Jungen aufgetreten. Die derzeitige Weigerung von O., seinen Vater zu sehen, kann verschiedene Ursachen haben. O. selbst hat wiederholt erklärt, dass er sich von seinem Vater unter Druck gesetzt fühle und von dessen Verhaltensweisen enttäuscht sei. Sicherlich ist auch das nicht abgesprochene und von O. nicht gewünschte Auftauchen seines Vaters in der Nähe der Schule oder der Sporthalle nicht geeignet, das Vertrauen von O. zu seinem Vater zu fördern. Schließlich ist die starke psychische Belastung des Jungen durch die schwere Krankheit und den Tod seiner Mutter im Sommer 2011 zu berücksichtigen, welche Auswirkungen auf das Verhältnis zu seinem Vater zeitigen kann. Unter Würdigung aller Umstände kann daher die Kontaktverweigerung des Kindes gegenüber seinem Vater nicht einseitig auf die fehlende Förderung durch die Antragstellerin zurückgeführt werden.
Im Übrigen sei das Ergebnis der im Parallelverfahren angeordneten familienpsychologischen Begutachtung abzuwarten.
OLG Köln v. 09.01.2012 - 4 UF 229/11