Gewalt in der Erziehung auf dem Rückzug (lt. Forsa-Studie)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Heute wurde eine Forsa-Studie, in Auftrag gegeben von der Zeitschrift Eltern veröffentlicht.
Auf Spiegel-Online ("Fast die Hälfte der Eltern schlägt ihre Kinder"), Stern-Online ("Haue und Ohrfeigen: Die Hälfte der Eltern schlägt zu"), Welt-Online ("Erschreckende Studie: Die Hälfte der Deutschen schlägt ihre Kinder") sind die Überschriften (wieder mal) im Wesentlichen irreführend.
Denn wenn man sich die Umfrageergebnisse anschaut, kann man eigentlich wieder nur den anhaltenden kulturellen Wandel der Erziehungsmethoden bestätigt sehen, der sich auch in solchen Umfrageergebnissen niederschlägt. Noch vor einem Jahrhundert war die Prügelstrafe in Deutschland nicht nur verbreitet, sondern normal im wörtlichen Sinne: Sie entsprach der "Norm" in der Kindererziehung.
Heute ist sie kulturell so weit zurückgedrängt, dass die dpa-Journalisten die Umfrage schon verfälschen müssen, um das von ihnen wohl erwünschte Ergebnis zu generieren:
So heißt es bei Stern-Online:
Berlin (dpa) - Ein kräftiger Schlag auf den Po oder eine schallende Ohrfeige: Nach einer repräsentativen forsa-Umfrage rutscht rund der Hälfte der Eltern in Deutschland bei der Erziehung noch immer die Hand aus.
In der Originalfrage von Forsa ist aber von "kräftig" oder "schallend" gar nicht die Rede:
Wenn Sie jetzt einmal an die letzten 12 Monate denken: Wie häufig ist es in dieser Zeit vorgekommen, dass Sie Ihr Kind/Ihre Kinder mit folgenden Maßnahmen bestraft haben?
Klaps auf den Po
Ohrfeige
Hintern versohlen
mit Stock o.ä. versohlen
Zudem ergeben sich höhere Zahlen von annährend 50% nur bei der geringsten Häufigkeitsstufe (1-2mal in den letzten 12 Monaten).
Nun will ich keineswegs einen Klaps auf den Po verharmlosen, zumal selbst dieser bei 4/5 der Eltern ein schlechtes Gewissen verursacht, aber die Tendenzen zur gewaltfreien Erziehung sind eindeutig zu erkennen:
1. Gegenüber einer Studie von vor 5 Jahren ist ein weiterer - sogar erheblicher - Rückgang zu verzeichnen (Vergleich hier).
2. Selbst wenn man davon ausgeht, dass viele der Befragten in Richtung der "sozialen Erwünschtheit" geantwortet haben (und vielleicht die Wahrheit über weitere und/oder härtere Schläge verschwiegen haben), so ist auch dies, nämlich die Einschätzung der sozialen Erwünschtheit der gewaltlosen Erziehung, ein deutliches Signal.
3. Regelmäßig wird ein schlechtes Gewissen oder gar eine Entschuldigung beim Kind als weitere Reaktion genannt, wenn Eltern doch einmal zum Klaps bzw. zur Ohrfeige gegriffen haben, d.h. der Klaps/die Ohrfeige wird von den Eltern regelmäßig nicht legitimiert.
4. Die Antworten auf die Frage 11 der Umfrage:"Sind Sie selbst als Kind geschlagen worden? (Hier ist nicht ein gelegentlicher Klaps auf den Hintern gemeint)" sind ebenfalls bezeichnend: Nur 25 % der Befragten im Alter von 50+ antworteten "Nie", aber diese Zahlen gehen bei den jüngeren Eltern kontinuierlich nach oben, 40-49 Jahre: 43%, 30-39 Jahre: 49%, 18-29 Jahre: 52 % wurden "nie" geschlagen. Den entscheidenden kulturelle "Bruch" mit der Gewalterzeihung gab es insofern schon vor ca. 40-50 Jahren: die Generation 50+ (Jahrgang 1962 und früher) gibt an, noch zu 13% regelmäßig geschlagen worden zu sein, die jüngeren Generationen nur noch zu 5 % oder weniger.
5. Bei den meisten Antworten ergeben sich keine oder nur geringfügige Unterschiede je nach Bildungsstatus oder Haushaltseinkommen, dies ist ein weiteres Signal dafür, dass die gewaltfreie Erziehung auf dem Weg zur allgemeinen Verbreitung ist.
Zu beachten: Die Studie ist eine Einstellungs- bzw. Meinungsumfrage und deshalb nicht zu vergleichen mit einer elaborierten wissenschaftlichen Dunkelfeld-Studie. Dennoch scheint sie mir beachtlich.
Selbstverständlich besagt die Studie nichts dazu, wie häufig in Deutschland (noch immer) Kindesmisshandlungen begangen werden und selbstverständlich ist jedes geschlagene Kind eines zu viel. Aber an einer positiven Entwicklung kann ich nichts "erschreckendes" finden.