Die abgebrochene Gärtnerin
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Er (Jahrgang 1958) und sie (Jahrgang 1961) schlossen im März 1980 die Ehe.
Ihr Leben nahm den folgenden Verlauf:
Nach Beendigung der Oberschule hat die Antragsgegnerin am 1.9.1978 eine Ausbildung zur Gärtnerin begonnen. Diese Berufsausbildung hat sie im Hinblick auf die Geburt der gemeinsamen Tochter am …9.1979 abgebrochen. Nach der Geburt des Kindes bzw. Eheschließung am 14.3.1980 betreute die Antragsgegnerin zunächst die Tochter und versorgte den Haushalt. Von 1982 bis zum 11.2.1986 arbeitete die Antragsgegnerin stundenweise als Aushilfe in einer Kindertagesstätte. Am …3.1986 kam der gemeinsame Sohn zur Welt. Anschließend betreute die Antragsgegnerin die Kinder und versorgte den Haushalt. Vom 1.4.1987 bis zum 14.8.1993 arbeitete die Antragsgegnerin als Aushilfe im Kindergarten. Vom 16.3.1993 bis zum 31.5.1998 war sie arbeitslos. Während dieser Zeit nahm die Antragsgegnerin vom 24.2.1997 bis zum 25.11.1997 an einer Weiterbildung zur Verkäuferin für Pflanzen und Gartenbedarf teil. Vom 1.6.1998 bis zum 31.8.2002 hat die Antragsgegnerin im Rahmen einer sogenannten ABM beim Kreis- und Sportbund gearbeitet. Anschließend war sie vom 1.9.2002 bis zum 23.8.2003 stundenweise bei einer Versicherung tätig. Vom 1.1.2003 bis zum 31.5.2006 war die Antragsgegnerin erneut arbeitslos. Während dieser Zeit absolvierte sie vom 25.8.2003 bis zum 23.12.2003 eine Weiterbildung als Fachassistentin für Sozialbetreuung. Vom 1.1.2006 bis zum 30.4.2007 war die Antragsgegnerin als Aushilfe beim Drogeriemarkt … beschäftigt. Seit dem 1.5.2007 arbeitet die Antragsgegnerin beim Kreissportbund. Sie war zunächst als Aushilfe und Teilzeitkraft tätig. Vom 1.2.2009 bis zum 30.4.2010 erzielte sie beim Kreissportbund aus einer vollschichtigen Arbeit ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von rund 998 €. Dieses Arbeitsverhältnis ist durch eine vom Kreissportbund zum 30.4.2010 ausgesprochene Änderungskündigung aufgelöst worden. Die Antragsgegnerin hat das Angebot zu einer Weiterbeschäftigung ab 1.5.2010 zu geänderten Arbeitsbedingungen und mit einer Arbeitszeit von nur noch 30 Wochenstunden akzeptiert.
Trennung 2009, Scheidung 2011.
Sie macht nachehelichen Unterhalt geltend.
Das OLG nimmt bei ihr ab Rechtskraft der Scheidung die Pflicht zu einer vollschichtigen Berufstätigkeit an und unterstellt ein fiktives Einkommen von 1.000 €. Der Senat errechnet daraus für sie einen Unterhaltsanspruch in Höhe von 358 €.
Er erstrebt insbesondere eine Befristung des Unterhalts an.
Abgelehnt:
Die Antragsgegnerin hat während der Ehe und auch nach der Scheidung keine Berufsausbildung mit einem entsprechenden Berufsabschluss nachgeholt. Sie kann daher nur als ungelernte Kraft arbeiten. Der fehlende Abschluss ihrer 1978 begonnenen und 1979 abgebrochenen Berufsausbildung stellt entgegen der Auffassung des Antragstellers einen Nachteil dar, der „durch die Ehe“ bzw. „Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes“ im Sinne von § 1578 b Abs. 1 S. 2 und 3 BGB entstanden ist.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers lassen sich ehebedingte Nachteile der Antragsgegnerin auch nicht mit der Begründung verneinen, dass sie weder vor der Ehe über eine bereits abgeschlossene Berufsausbildung verfügt noch während der Ehezeit die Möglichkeit, einen Berufsabschluss zu erwerben, genutzt habe, so dass ihr nunmehr nach Scheitern der Ehe im Ergebnis auch keine Erwerbsmöglichkeit und damit keine Einkommensquellen verschlossen seien, die sich ihr ohne die Ehe und Kinderbetreuung eröffnet hätten. Insoweit bliebe nämlich unberücksichtigt, dass die Antragsgegnerin im Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes erst 17 Jahre alt und nach (erfolgreicher) einjähriger Berufsausbildung noch am Beginn ihres beruflichen Werdegangs stand. Die Annahme des Antragstellers, dass der Antragsgegnerin auch ohne die Eheschließung und Kinderbetreuung nicht gelungen wäre, ihre Berufsausbildung zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen, entbehrt der tatsächlichen Grundlage. Jedenfalls wirken sich alle diesbezüglichen Zweifel oder Unwägbarkeiten (aufgrund einer nur hypothetischen Beurteilung der Entwicklungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin) nach der vorstehend dargestellten Verteilung der Darlegungs- und Beweispflicht zulasten des Antragstellers aus. Es gibt keine hinreichend sicheren Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin ohne die Ehe, die Kinderbetreuung und die in der Ehe praktizierte Rollenverteilung auch heute ungelernten Tätigkeiten nachgehen würde. Dabei sprechen für die Antragsgegnerin und ihre „normalen“ beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten nach Aufnahme der Berufsausbildung zur Gärtnerin am 1.9.1978 auch die vorliegend einzubeziehenden Erfahrungssätze.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann er der Antragsgegnerin auch nicht entgegenhalten, dass sie nicht gehindert gewesen sei, während bestehender Ehe ihre Berufsausbildung wieder aufzunehmen und zu einem Abschluss zu bringen. Im Rahmen der Billigkeitsabwägung erfolgt keine Aufarbeitung eines ehelichen (Fehl-) Verhaltens. Denn bei den in § 1578 b BGB aufgeführten Kriterien handelt es sich um objektive Umstände, denen kein Unwerturteil bzw. keine subjektive Vorwerfbarkeit anhaftet (vgl. hierzu BT-Drucksache 16/1830, S. 20; BGH, FamRZ 2010, 2059; OLG Stuttgart, FamRZ 2011, 906).
Ferner gewinnt hier die lange Dauer der Ehe der Beteiligten Bedeutung. Von der Heirat im Jahr 1980 bis zur Zustellung des Scheidungsantrags Ende 2010 sind über 30 Jahre vergangen. Im Laufe der jahrzehntelangen Ehe tritt unter den Eheleuten regelmäßig eine wirtschaftliche Verflechtung ein.
Bei der vorzunehmenden Billigkeitsabwägung kommt weiterhin dem Umstand der nachehelichen Solidarität besondere Bedeutung zu. Denn § 1578 b BGBbeschränkt sich nicht auf die Kompensation ehebedingter Nachteile (vgl. § 1578 b Abs. 1 Satz 2 BGB…“insbesondere“), sondern berücksichtigt auch andere Gesichtspunkte. Das Maß der Solidarität bestimmt sich neben der Ehedauer vor allem durch die wirtschaftliche Verflechtung, die durch die Aufgabe einer eigenen Berufsausbildung wegen der Betreuung gemeinsamer Kinder oder die Haushaltsführung eingetreten ist, und nicht zuletzt durch die von der Unterhaltsberechtigten erbrachten Lebensleistung.
bb) Aufgrund der von der Antragsgegnerin konkret vorgetragenen und vom Antragsteller nicht widerlegten ehebedingten Nachteile ist davon auszugehen, dass sie ohne Eheschließung und Kindererziehung ihre 1978 aufgenommene Berufsausbildung abgeschlossen hätte, die ihr ein höheres Einkommen ermöglichen würde, als sie es unter den gegebenen Umständen - in Höhe von monatlich bereinigt 1.000 €, wie unter Ziffer 1.b) festgestellt - erzielen kann. Diese ehebedingten Erwerbsnachteile rechtfertigen die vom Amtsgericht abgelehnte zeitliche Befristung des Unterhaltsanspruchs der Antragsgegnerin nach § 1578 b Abs. 2 BGB. Sie stehen aber wegen der Höhe ihres ohne die Ehe erzielbaren Einkommens auch einer Herabsetzung des Unterhalts nach § 1578 b Abs. 1 BGB entgegen.
OLG Brandenburg v. 21.02.2012 - 10 UF 253/11