Strafverfolgung VOR der Tat - steht "Precrime" in den USA vor der Verwirklichung?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Spiegel-Online berichtet heute mit Anspielungen auf den Spielberg-Film "Minority Report" mit Tom Cruise (2002) - basierend auf dem gleichnamigen Roman von Philip K. Dick (1956) - das US-Heimatschutzministerium sei dabei, ein System zu entwickeln, um Verbrechen vor deren Verübung zu detektieren und zu verhindern. Zitat (SPON):
Das Electronic Privacy Information Center (Epic) hat eine entsprechende Anfrage im Rahmen des amerikanischen Freedom of Information Act gestellt, der jedem US-Bürger Zugang zu Behördendokumenten zusichert. Die nun veröffentlichten Informationen zeigen, dass die entsprechenden Daten durch eine "Future Attribute Screening Technology" (FAST) genannte Technik erbracht werden sollen (PDF).
Demnach soll FAST verdächtige Personen erkennen, indem Kriterien wie ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Atemfrequenz und Herzschlag ausgewertet werden. Anhand dieser Daten soll FAST "unlautere Absichten" vor einer möglichen Tat erkennen. Auch Video- und Tonmitschnitte sollen dem System als Informationsquellen dienen. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob der potentiell Verdächtige bereits früher mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist.
Ob, wie und wann das System bereits getestet wurde oder noch wird, ist unklar. Allerdings sind als mögliche Einsatzorte Flughäfen oder Großveranstaltungen, wie Sportereignisse oder Konzerte denkbar. Offensichtlich haben bereits im vergangenen Jahr Labortests stattgefunden, deren Erfolgsrate allerdings bei 78 Prozent gelegen haben soll.
Steht der Traum der Kriminalisten, der Alptraum der Kriminologen und der Anhänger des Mottos "Die Gedanken sind frei" also kurz vor seiner Verwirklichung?
Aus dem vom Spiegel zitierten Bericht des DHS aus dem Jahr 2008, der sich insb. mit Datenschutzproblemen befasst, und aus einem Artkel im "New Scieintist" lässt sich ziemlich gut nachvollziehen, worum es sich bei FAST tatsächlich handelt. Offenbar geht es darum, die Eingangs- und Durchgangskontrollen an Flughäfen oder Veranstaltungen/Stadien effektiver zu machen, indem man Techniken, die aus dem guten alten Lügendetektor stammen, aus der Ferne nutzt. Die Möglichkeit, bestimmte Körperdaten aus der Entfernung abzugreifen und als "malintent" ("böse Absicht") zu deuten, das ist die Neuigkeit.
(1) A remote cardiovascular and respiratory sensor to measure heart rate and respiration, which allows for the calculation of heart rate, heart rate variability, respiration rate, and respiratory sinus arrhythmia.
(2) A remote eye tracker, which is a device that uses a camera and processing software to track the position and gaze of the eyes (and, in some instances, the entire head) of a subject. Most eye trackers will also provide a measurement of the pupil diameter.
(3) Thermal cameras that provide detailed information on the changes in the thermal properties of the skin in the face will help assess electrodermal activity and measure respiration and eye movements.
(4) A high resolution video that allows for highly detailed images of the face and body to be taken so that image analysis can determine facial features and expressions and body movements, and an audio system for analyzing human voice for pitch change.
(5) Other sensor types such as for pheromones detection are also under consideration. (Quelle)
Also: Neben äußerlich erkennbaren Körpermerkmalen (Alter, Geschlecht, Begleitung, Kleidung, Hautfarbe), neben dem Gepäckröntgen, den Metalldetektoren, Nacktscannern, den Drogenhunden, der Biometrie, der Kontrolle von Pässen und Eintrittskarten soll mit FAST nun z. B. auch noch die Atemfrequenz und der Pulsschlag, der Lidschlag, die Hauttemperatur, die Stimme und evtl. auch noch der Körpergeruch von Personen mit Sensoren gemessen und ausgewertet werden, während sie eine Kontrollstelle passieren. Zitat (New Scientist):
140 paid volunteers walked through a pair of trailers kitted out with a battery of FAST sensors, including cameras, infrared heat sensors and an eyesafe laser radar, called a Bio-Lidar, that measures pulse and breathing rate from a distance.
Some subjects were told to act shifty, be evasive, deceptive and hostile. And many were detected. "We're still very early on in this research, but it is looking very promising," says DHS science spokesman John Verrico. "We are running at about 78% accuracy on mal-intent detection, and 80% on deception."
Mit der FAST-Technik will man so Menschen herausfiltern, an denen man aufgrund von diesen Körperdaten "Nervosität" bemerkt, das ist praktisch der Lügendetektor als Nacktscanner. Die Vorstellung ist unangenehm genug, und es lässt sich leicht denken, dass künftig solche Screening-Techniken heimlich z B. auch bei Beschuldigtenvernehmungen oder bei Vorstellungsgesprächen einsetzbar werden (also praktisch ein heimlicher Polygrapheneinsatz) oder sogar in Einkaufszentren und Innenstädten für "Sicherheit" sorgen sollen. Aber es ist natürlich etwas anderes als Gedankenlesen. "Precrime" in Film und Roman sieht anders aus. Und momentan erwecken bei mir die Möglichkeiten des Staats- oder Zuckerbergtrojaners (namens facebook) noch größere Befürchtungen. Im Vergleich damit ist die Lügendetektor-Technik eher "Old School" und ermöglicht alles andere als "sichere Vorhersagen". Nochmal der New Scientist:
But is it going to make a real difference? Or will bad guys learn to play the system and render it another piece of what expert Bruce Schneier dubs "security theatre".
Given that the FAST approach is not much different to the long established - and long established as unreliable - polygraph, that certainly seems plausible.