Arbeitsplatzaufgabe und ehebedingter Nachteil
Gespeichert von Hans-Otto Burschel am
Nach vierjährigem nichtehelichem Zusammenleben hatten die Beteiligten 1987 geheiratet.
1988 kam ein Sohn auf die Welt.
1993 gab die Ehefrau ihre Arbeit bei der VW-AG auf, um die Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu übernehmen. Sie erhielt von VW eine Abfindung von 70.000 DM, die die Eheleute in die Ablösung eines Kredits für die gemeinsame Immobilie steckten. Ob die Aufgabe des Arbeitsplatzes bei VW auf einem einvernehmlichen Entschluss der Eheleute erfolgte oder auf dem alleinigen Entschluss der Ehefrau beruhte, ist bis zum Schluss streitig geblieben. Jedenfalls trennten sie sich erst 2006 und wurden 2008 geschieden.
Die Immobilie wurde verkauft, jeder erhielt 50.000 €.
Die Ehefrau arbeitet jetzt bei einer Zeitarbeitsfirma, wo sie ca. 700 € weniger verdient als sie bei VW verdienen könnte, wäre sie dort geblieben.
Der Ehemann wurde zur Zahlung eines unbefristeten Unterhalts in Höhe von 502 € Elementarunterhalt und 124,80 € Altersvorsorgeunterhalt verpflichtet.
Berufung und Revision blieben erfolglos.
Ehebedingte Nachteile sind vor allem Erwerbsnachteile, die durch die von den Ehegatten praktizierte Rollenverteilung während der Ehe entstanden sind. Dazu genügt es, wenn ein Ehegatte sich entschließt, seinen Arbeitsplatz aufzugeben, um die Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu übernehmen. Ab welchem Zeitpunkt die Rollenverteilung praktiziert wird, ist nicht von Bedeutung. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die Ehegatten die Rollenverteilung zu Beginn der Ehe, bei Geburt eines Kindes oder erst später planten oder praktizierten. Einem ehebedingten Nachteil steht demnach nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin den Entschluss zur Aufgabe ihres Arbeitsplatzes erst traf, als der gemeinsame Sohn bereits vier oder fünf Jahre alt war.
Da die Antragsgegnerin anschließend - nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - trotz diverser Nebentätigkeiten die überwiegende Betreuung des Sohnes und des Haushalts übernahm, ist das Berufungsgericht mit Recht von einem auf der praktizierten Rollenverteilung beruhenden Erwerbsnachteil der Antragsgegnerin ausgegangen. Ob die Aufgabe des Arbeitsplatzes gegen den Willen des Antragstellers erfolgte, ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung. Das Berufungsgericht hat es offen gelassen, ob der Entschluss der Antragsgegnerin, das Arbeitsverhältnis bei der VW-AG aufzugeben, im Einverständnis des Antragstellers oder aber gegen dessen Willen umgesetzt wurde. Demnach ist für die Revisionsinstanz zu unterstellen, dass der Antragsteller mit der Arbeitsplatzaufgabe nicht einverstanden war.
Nach der Gesetzesformulierung kommt es darauf an, ob sich die Nachteile (vor allem) aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes oder aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben (§ 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB). Wie sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt, ist somit auf die tatsächliche Gestaltung von Kinderbetreuung und Haushaltsführung abzustellen. Bei den in § 1578 b BGB aufgeführten Kriterien handelt es sich zudem um objektive Umstände, denen kein Unwerturteil und keine subjektive Vorwerfbarkeit anhaften, weshalb im Rahmen der Abwägung nach § 1578 b BGB nicht etwa eine Aufarbeitung ehelichen Fehlverhaltens stattfindet (Senatsurteil vom 20. Oktober 2010 - XII ZR 53/09 - FamRZ 2010, 2059 Rn. 27 mwN). Daher kann der unterhaltspflichtige Ehegatte nicht einwenden, dass er den Unterhaltsberechtigten während der Ehe zur Berufstätigkeit angehalten habe (Senatsurteil vom 20. Oktober 2010 - XII ZR 53/09 - FamRZ 2010, 2059 Rn. 27). Ähnlich verhält es sich im vorliegenden Fall, denn die Arbeitsplatzaufgabe ist der unterlassenen Erwerbstätigkeit vergleichbar. Auch die Arbeitsplatzaufgabe erfolgte im Zusammenhang mit der Ehegestaltung. Selbst wenn man im Rahmen des § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB - darüber hinausgehend - eine einvernehmliche Regelung der Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit entsprechend § 1356 BGB verlangen wollte, so würde dies im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen.
Denn das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Ehe der Parteien nach der Arbeitsplatzaufgabe durch die Klägerin über dreizehn Jahre fortgesetzt wurde. Außerdem investierten die Ehegatten die für die Arbeitsplatzaufgabe erhaltene Abfindung in das gemeinsame Einfamilienhaus. Schon aus diesem Grund kann der Argumentation der Revision nicht gefolgt werden, dass der Erwerbsnachteil der Antragsgegnerin durch die Abfindung ausgeglichen worden sei.
Ein ehebedingter Nachteil liegt bei einer solchen Fallgestaltung nur dann nicht vor, wenn die Ehegestaltung für den Erwerbsnachteil nicht ursächlich geworden ist. Das wäre der Fall, wenn die Antragsgegnerin ihren Arbeitsplatz ausschließlich aus Gründen aufgegeben oder verloren hätte, die außerhalb der Ehegestaltung liegen, so etwa aufgrund einer von ihr persönlich beschlossenen beruflichen Neuorientierung oder wegen einer betriebs- oder krankheitsbedingten Kündigung seitens des Arbeitgebers. In diesem Fall würde es an einem ehebedingten Nachteil fehlen, wenn der Erwerbsnachteil auch ohne die Ehe und die mit ihr verbundene Rollenverteilung eingetreten wäre. Dafür bestehen im vorliegenden Fall aber keine Anhaltspunkte. Das Arbeitsverhältnis der Antragsgegnerin war vielmehr nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts auch für die Zukunft gesichert. Demnach kann kein Zweifel bestehen, dass die Gestaltung der Haushaltsführung den Anforderungen des § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB entspricht.
BGH v. 16.02.2011 XII ZR 108/09