Haftung einer Reinigungskraft bei grober Fahrlässigkeit - Betätigung eines falschen Knopfes
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Seit kurzem liegen die Entscheidungsgründe eines neuen Urteils des 8. Senats des BAG (Urteil vom 28.10.2010 – 8 AZR 418/09, BeckRS 2011, 68692) zur Arbeitnehmerhaftung vor: Die Beklagte war als Reinigungskraft auf Teilzeitbasis in einer Gemeinschaftspraxis für radiologische Diagnostik und Nuklearmedizin beschäftigt. An einem Sonntag - außerhalb ihrer Arbeitszeit - kam sie zufällig an der Praxis vorbei und vernahm einen Alarmton. Sie betrat die Praxis stellte fest, dass der Alarm von dem Magnetresonanztomographen (MRT) ausging. Um den Alarm auzuschalten, drückte sie statt des hierfür vorgesehenen blauen Knopfes "alarm silence" den roten Schaltknopf "magnet stop" und löste hierdurch eine Notabschaltung aus, die das Gerät beschädigte. Die Reparturkosten betrugen knapp 31.000 €. Hinzu kam ein Nutzungsausfallschaden für mehrere Tage in Höhe von rund 18.500 € (insoweit nicht von der Schadensversicherung der Ärzte übernommen). Diesen Schaden verlangten die Kläger von der beklagten Reinigungskraft ersetzt. Die Klage hatte teilweise Erfolg. Die Erfurter Richter stellen in ihrem Urteil fest, dass die Beklagte, als sie statt des Schaltknopfes "alarm silence" fehlerhaft den Schaltknopf "magnet stop" drückte, ihre arbeitsvertragliche Nebenpflicht, den Arbeitgeber nicht zu schädigen, verletzt hatte (§ 280 Abs. 1 S. 1 BGB). Das Handeln der Reinigungskraft sei - auch wenn es außerhalb der Arbeitszeit erfolgt sei - durch den Betrieb veranlasst und aufgrund des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geschehen. Zu entscheiden war nunmehr, ob sich die beklagte Reinigungskraft auf die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung berufen konnte. Allerdings hat das BAG das Fehlverhalten mit Blick auf die konkreten Umstände des Einzelfalls als grob fahrlässig eingestuft. Bei dieser Verschuldensform hat der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen. Eine Entlastung des Arbeitnehmers ist jedoch auch hier nicht gänzlich ausgeschlossen. Ob sie in Frage kommt und wie weit sie zu gehen hat, ist – so das BAG - nach einer Abwägung zu entscheiden, die grundsätzlich dem Tatrichter nach Feststellung aller dafür maßgebenden Umstände obliegt (§§ 286, 287 ZPO). Auf Seiten des Arbeitnehmers müssten insbesondere die Höhe des Arbeitsentgelts, die weiteren mit seiner Leistungsfähigkeit zusammenhängenden Umstände und der Grad des Verschuldens in die Abwägung einbezogen werden. Auf Seiten des Arbeitgebers werde ein durch das schädigende Ereignis eingetretener hoher Vermögensverlust umso mehr dem Betriebsrisiko zuzurechnen sein, als dieser einzukalkulieren oder durch Versicherungen ohne Rückgriffsmöglichkeit gegen den Arbeitnehmer abzudecken war. Die Entscheidung sei nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. Eine feste, summenmäßig beschränkte Obergrenze der Haftung gäbe es nicht, sie festzulegen wäre dem Gesetzgeber vorbehalten. Im konkreten Fall konstatiert das BAG, dass sich der eingetretene Schaden auf mehr als das Hundertfache eines Monatslohns der Reinigungskraft belaufe und sich damit als ganz ungewöhnlich groß darstelle. Bereits die Haftungsbeschränkung auf zwölf Monatsgehälter – für die sich das BAG in Übereinstimmung mit der Vorinstanz im Ergebnis ausspricht - stelle für die Arbeitnehmerin eine sehr große finanzielle Belastung dar, weil bei "Mini-Jobs" regelmäßig der gesamte Verdienst zur Existenzerhaltung gebraucht wird und Reserven, Rücklagen oder Sparquoten, auf die verzichtet werden könnte, nicht bestehen. Ihre freiwillig abgeschlossene Privathaftpflichtversicherung wirke sich dagegen auf die interne Betriebsrisikoverteilung nicht aus.