Ausblick 2011 (II): Muss ein Moslem Regale mit alkoholischen Getränken auffüllen?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Das Bundesarbeitsgericht verhandelt am 24.02.2011 über die Frage, in welchem Umfang der Glauben eines Arbeitnehmers diesen berechtigt, ihm zugewiesene Arbeit zu verweigern (2 AZR 636/09).
Der Kläger ist muslimischen Glaubens und seit 1994 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er verrichtete zunächst mehrere Jahre die Tätigkeit eines Helfers in der Waschstraße. Ab 2003 arbeitete er in der Getränkeabteilung des Bereichs "Allgemeine Lebensmittel" und wurde dort u.a. mit Auffüllarbeiten beschäftigt. Nach einem zwischenzeitlichen Einsatz in der Frischwarenabteilung ab März 2007 und mehreren Erkrankungen des Klägers wies die Beklagte den Kläger im Februar 2008 an, künftig wieder in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Der Kläger weigerte sich strikt, dieser Anordnung Folge zu leisten. Er berief sich auf seinen muslimischen Glauben, nach welchem ihm jeglicher Umgang mit Alkohol verboten sei. Nach weiteren erfolglosen Aufforderungen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 01.03.2008 außerordentlich fristlos sowie mit weiterem Schreiben vom 05.03.2008 vorsorglich ordentlich unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Ihm müsse der Grundrechtsschutz des Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG (Religionsfreiheit) zu Gute kommen. Nach dem Koran sei ihm jeglicher Umgang mit Alkohol verboten. Bis ins Jahr 2006 sei er nicht mit dem Alkoholverkauf in Berührung gekommen und habe daher nicht damit rechnen müssen, für derartige Arbeiten herangezogen zu werden. Eine Kündigung könne erst dann in Betracht kommen, wenn die Beklagte darlege, dass er die seinerseits geschuldete Arbeitsleistung keinesfalls anders erbringen könne, als gerade in der von ihm aus Gewissensgründen abgelehnten Weise. Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe auch schon früher mit dem Verkauf alkoholischer Getränke zu tun gehabt. Ihre Umsetzungsentscheidung sei wegen der hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in der Frischeabteilung gerechtfertigt gewesen. Ein Abwägungsfehler hinsichtlich der Bewertung der kollidierenden Grundrechtsinteressen liege nicht vor.
Das Arbeitsgericht Kiel hat die Klage abgewiesen (Urt. vom 16.06.2008 - 2 Ca 455 c/08). Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat auf die Berufung des Klägers die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt und die Klage im Übrigen abgewiesen, die ordentliche Kündigung der Arbeitgeberin also bestätigt (Urteil vom 20.01.2009 - 5 Sa 270/08, BeckRS 2009, 58812). Mit der Revision begehrt der Kläger die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist.
Vergleichbare Fälle finden sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nur selten. 1984 hatte der Zweite Senat des BAG darüber zu entscheiden, ob ein Drucker aus Gewissensgründen den Druck von Werbebroschüren für ein kriegsverharmlosendes Buch verweigern darf (Urt. vom 20.12.1984 - 2 AZR 436/83, NZA 1986, 21: Er durfte), 1989, ob ein Mitarbeiter in der Forschungsabteilung eines Pharmaunternehmens an der Entwicklung eines – auch – kriegsdienlichen Medikaments gegen Strahlenerkrankungen mitwirken muss (Urt. vom 24.05.1989 - 2 AZR 285/88, NZA 1990, 144: Er muss nicht). In beiden Fällen hat das Gericht (auch) darauf abgestellt, dass es dem Arbeitgeber zumutbar gewesen wäre, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuzuweisen, bei der dieser sich keinen Gewissenskonflikten ausgesetzt sieht (siehe heute § 106 Satz 1 GewO: "billiges Ermessen"). Eine Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung komme nur in Betracht, wenn andere Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb nicht bestünden.