Beim Töten über die Schulter geschaut
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Kriminologisch ist das von wikileaks vorgestern veröffentlichte erschütternde Video aufschlussreich - es lohnt sich, nicht nur die 2 minütige Spiegel-Online Version, sondern die längeren Versionen auf der verlinkten Website anzuschauen: Ergibt sich doch die Gelegenheit, Menschen bei einem tödlichen Handwerk zuzusehen und ihnen dabei zu lauschen nicht sehr oft. Das mag zynisch klingen, soll es aber nicht. Denn zynisch ist hier nur noch die Reaktion des amerikanischen Militärs nach Veröffentlichung dieses Videofilms: Kein Anlass zur Empörung, dass gehe alles konform mit den Regeln des Kriegs. Aber die ganze Welt kann ja jetzt sehen, warum dieses Video geheim gehalten werden sollte: Von Gefechtssituation oder Notwehr etc. kann hier keine Rede sein. (zur rechtlichen Einschätzung hins. der Rules of Engagement siehe diesen Artikel im New Yorker, siehe auch den unten in Kommentar #4 verlinkten Untersuchungsbericht der US Army). Aus dem ganzen Szenario ergibt sich darüber hinaus implizit, dass es sich hier offenbar nicht um eine besondere Ausnahme handelt, kein mörderischer Einzelfall in einem Umfeld kriegerischer Heldentaten, nein: kaltblütiges und heimtückisches Töten von Menschen, die sich offenbar keines Angriffs versehen, obwohl sie ja den Hubschrauber hören und sehen können, und die folgenden routinemäßigen Aufräumarbeiten, bei denen ein Panzerfahrzeug eine Leiche überfährt und die für den Tod Verantwortlichen noch lachen. Zynismus: Dringliche Bitte der Sanitätssoldaten, die verletzten Kinder in das amerikanische Militärkrankenhaus bringen zu dürfen - negativ, die sollen der irakischen Polizei übergeben und in ein "lokales" Krankenhaus gebracht werden. Irgendeine Verantwortlichkeit des US-Militär für die verwundeten Kinder? Negativ: Selber Schuld, wer ein Kind mitnimmt ins "Gefecht". Auch auf diejenigen wird geschossen, die einen Verwundeten bergen wollen. Wikileaks hat insofern recht: Wenn dieses Verhalten den "Rules of Engagement" entspricht, dann sind diese Regeln selbst "wrong", nämlich Menschenrechtsverletzungen. Und man darf nicht vergessen, dass dieser ganze Krieg im Irak auf Lug und Trug der ehemaligen amerikanischen Regierung beruht und schon im Ausgangspunkt keinerlei Legitmation hatte.
Zurück zum Eingangssatz dieses Beitrags:
1. Die hier agierenden Soldaten sind keine bloßen Befehlsmaschinen, im Gegenteil, sie fordern geradezu die Genehmigung zum tödlichen "Engagement" durch ihre Vorgesetzten, im Falle des schwer verwundet auf dem Boden herumrobbenden wehrlosen Reuters-Journalisten fordern sie ihn auf, endlich eine Waffe in die Hand zu nehmen, damit sie ihn noch einmal beschießen können. Das tut er nicht und man könnte fast glauben, da ist ein Rest von moralischer Rationalität übrig, wenn man ihn (zunächst) am Leben lässt. Doch dann wird er erschossen, weil ihm andere helfen wollen und dies offenbar von den "Rules of Engagement" als kriegerischer Akt eingestuft wird. Im Falle der eindeutig unbewaffneten Männer, die den Verwundeten in ihren Van einladen wollen, können die Hubschrauberschützen die Tötungsgenehmigung wiederum kaum erwarten. Sie lügen erst - um die Genehmigung zu erhalten - das Fahrzeug komme um Waffen aufzusammeln und scherzen danach über ihre feigen Treffer und klopfen sich verbal auf die Schulter, "good shooting", "nice".
2. Nicht einmal hundert Meter schaffen genügend Distanz, um die Empathie für die Opfer der eigenen Handlungen, sollte sie überhaupt vorhanden sein, völlig auszuschalten. Die ganze Szenerie ist nicht einmal klar zu unterscheiden von Computerspielen, an die das Umkreisen des Tatorts und die dabei zu hörende Konversation der Soldaten klar erinnert.
3. Einzig die Soldaten am Boden, die dann mit den Kindern in den Armen über das Schlachtfeld eilen, passen nicht ganz in das Bild: Menschliche Regungen scheinen noch fragmentarisch vorhanden.
Disclaimer: Eigentlich unnötig darauf hinzuweisen, aber selbstverständlich sind die feigen Terrorakte (wie jüngst wieder in Bagdad und Moskau) genauso zu verurteilen. Aber sie legitimieren keineswegs Einsätze wie diesen hier.