OLG Hamburg zum Besitz von Internet-Kinderpornographie: Urteilsbegründung liegt vor
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die hier im Blog schon ausführlich (aber nur aufgrund Pressemitteilungen) diskutierte Entscheidung des OLG Hamburg zu § 184b StGB (OlG Hamburg 2-27/09), ist jetzt auf openjur veröffentlicht.
Es handelt sich, wie schon Jens Ferner in seinem Blog schreibt (Dank an Herrn Ferner für den Link) um eine sehr ausführlich begründete und daher auch nicht von vornherein zurückzuweisende Entscheidung. Quintessenz ist, dass eben schon das Laden in den Arbeitsspeicher Besitz vermittelt und nicht erst das bewusste Klicken auf den Befehl "Grafik speichern unter.. bzw. "Seite speichern unter...", womit die Daten dauerhaft auf der Festplatte gespeichert werden. Damit wird sowohl der Besitz als auch das gezielte Suchen von Kinderpornographie im Internet als "Unternehmen der Besitzverschaffung" gegenüber der (bisherigen) h.L. um eine Stufe vorverlagert.
Bedeutsam ist v.a. der letzte Teil der Urteilsbegründung, hier einige Auszüge mit ein paar ersten Kommentaren jeweils im Anschluss:
"Schriften stehen nach der Legaldefinition des § 11 Abs. 3 StGB Ton- und Bildträger, Abbildungen sowie andere Darstellungen gleich, soweit in anderen Vorschriften – wie in § 184 b Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 StGB – auf diesen Absatz verwiesen wird. Diese Gleichstellung erfasst seit Erweiterung durch Art. 4 Nr. 1 Gesetz zur Regelung der Rahmenbedingungen für Informations- und Kommunikationsdienste (IuKDG) vom 22. Juli 1997 (BGBl I, 1870, 1876), in Kraft getreten am 1. August 1997, auch „Datenspeicher“. Datenspeicher sind permanente Speichermedien, die der dauerhaften Aufzeichnung elektronischer, elektromagnetischer und anderer Daten dienen, wie z.B. CD-Roms, USB-Sticks, Festplatten und die internen Speicher einer EDV-Anlage einschließlich Arbeitsspeicher (vgl. Radtke in MünchKommStGB, § 11 Rdn. 118; Hilgendorf in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 11 Rdn. 121; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 11 Rdn. 36; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 11 Rdn. 78). Nach der Rechtsprechung sind Dateien, die auf Datenspeichern – wozu auch Arbeitsspeicher gehören (vgl. BGHSt 47, 55, 58; a.A. Harms in NStZ 2003, 646, 649) – festgehalten sind, selbst Datenspeicher und stehen somit Schriften gleich (vgl. schon zu früherem Recht Senat in NStZ-RR 1999, 329; zum geltenden Recht vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum IuKDG in BT-Drs. 13/7385, S. 36; BGH in NStZ 2005, 444 und 2007, 95; BGHR StGB § 184 b Konkurrenzen 1; HansOLG Hamburg, 1. Strafsenat, in StV 2009, 469; OLG Schleswig in NStZ-RR 2007, 41; a.A. Rudolphi/Stein in SK-StGB, § 11 Rdn. 62)." (Hervorhebung von H.E.M.)
Die Gleichsetzung von Datenspeichern mit Dateien widerspricht m. E. dem Wortlaut der Norm. Strafbar ist der Besitz von Datenspeichern (mit entspr. Dateien), nicht aber die Dateien selbst. Später geht es so weiter:
"aa) Die Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des Besitzes bei Aufruf einer Datei aus dem Internet zwecks Betrachtung auf dem Computerbildschirm sind in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Umfassen Wissen und Wollen des Internet-Nutzers die mit dem Aufruf verbundene automatische Abspeicherung im Internet-Cache, wird von der inzwischen herrschenden Meinung zutreffend ein Unternehmen der Besitzbeschaffung bejaht (vgl. BGH in NStZ 2007, 95; HansOLG Hamburg, 1. Strafsenat, in StV 2009, 469). Demgegenüber hat sich für die hier festgestellte Sachverhaltskonstel-lation des bloßen Aufrufes zwecks Betrachtens mit Herunterladung der Datei in den Arbeitsspeicher ohne weitergehenden Speicherungsvorsatz bisher keine überwiegende Ansicht herausgebildet (die Tatbestandserfüllung bejahend: OLG Schleswig in NStZ-RR 2007, 41; Laufhütte/Roggenbruck in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 184 b Rdn. 8; Heinrich in NStZ 2005, 361, 364; Eckstein in ZStW 117, 107, 120; a.A. Fischer, a.a.O., § 184 b Rdn. 21 b; Lenckner/Perron/Eisele, a.a.O., § 184 b Rdn. 15; Hörnle in MünchKommStGB, § 184 b Rdn. 27; Wolters in SK-StGB, § 184 b Rdn. 13; Lackner/Kühl, a.a.O., § 184 b Rdn. 8; offen gelassen durch Senat in NStZ-RR 1999, 329).
(...)
"Die Besitzbegriffe sowohl des bürgerlichen Rechts als auch etwa des Betäubungsmittelrechts sind entwickelt anhand der Herrschaft über körperliche Gegenstände. Sie genügen damit nicht vollständig der Besonderheit, dass nach §§ 184 b, 11 Abs. 3 StGB auch unkörperliche Darstellungen in Dateien Bezugsgegenstand des Besitzes sein können. Daraus ergibt sich das Erfordernis eines spezifischen Besitzbegriffes, der im Kern an den allgemeinen Besitzbegriff anknüpft, aber einzelne Definitionsmerkmale an die Besonderheiten unkörperlicher Gegenstände und ihres Verwendungszusammenhanges anpasst. Ein solcher Ansatz ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt; so hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 47, 55, 59) einen aus den Besonderheiten der unkörperlichen Datenübertragung im Internet abgeleiteten spezifischen Verbreitensbegriff entwickelt."
"Damit löst sich der normativ geprägte Besitzbegriff nicht vom Wortsinn des in der Strafvorschrift angeführten Tatbestandsmerkmals. § 184 b StGB führt den Besitz von (kinder-)pornographischen Schriften an; Abs. 1 dieser Vorschrift verweist zum Schriftenbegriff auf § 11 Abs. 3 StGB. § 11 Abs. 3 StGB stellt den Schriften u.a. Datenspeicher (einschließlich gespeicherter Daten, siehe dazu oben lit. b) aa)) gleich; dass gespeicherte Daten nicht verkörpert sind, ist allgemein bekannt. Aus der Zusammenschau dieser durch ausdrückliche Bezugnahme miteinander verklammerten Vorschriften ist dem Bürger ersichtlich, dass Besitz im Sinne des § 184 b Abs. 4 StGB sich nicht allein nach einem zu verkörperten Schriften entwickelten Verständnis definiert, sondern eine bereichspezifische, durch die Verkehrsauffassung hinreichend konturierte Modifikation des objektiven und subjektiven Herrschaftsverhältnisses erfährt."(Hervorhebung von H.E.M.)
Hier nimmt das Gericht Bezug auf die vorherige Gleichsetzung von Datenspeichern und Daten. Es nimmt diese zum Anlass, um für die Daten ein modifiziertes Besitzverhältnis zu konstituieren: jeder wisse schließlich, das Daten nicht verkörpert seien. Das stimmt zwar, aber Datenspeicher sind es sehr wohl - und in § 11 Abs. 3 StGB ist nur von Datenspeichern die Rede. Der Anlass einer neuen Besitzdefinition wird hier mit einer m.E. nicht dem Wortlaut von § 11 Abs.3 StGB entsprechenden Gleichsetzung von Datenspeichern und Daten begründet.
"Mit dem bewussten und gewollten Herunterladen der aufgerufenen Datei in den Arbeitsspeicher zwecks Betrachtens auf dem Bildschirm schafft der Computernutzer ein hohes Maß an Datenherrschaft, denn die Arbeitsspeicherung eröffnet als notwendiges Durchgangsstadium jeder Weiterverarbeitung der Daten grundsätzlich volle Verfügungsgewalt. Der Nutzer entscheidet eigenverantwortlich, wie lange er eine Seite betrachtet, ob er einzelne Darstellungen vergrößert und vor allem, ob er die noch nicht perpetuierte Herrschaft über die aufgerufenen Informationen durch deren Speicherung oder Ausdrucken dauerhafter gestaltet und ob er die Information durch Versendung an Dritte weitergibt (siehe auch Eckstein, a.a.O.).
Die demgegenüber im Schrifttum erhobenen Bedenken, das nur kurze Laden in den Arbeitsspeicher zum Zweck des Betrachtens sei zu flüchtig (Hörnle, a.a.O.) und es fehle an der erforderlichen Dauerhaftigkeit und Festigkeit der Herrschaft, weil die Datei nach dem Abschalten des Rechners nicht mehr verfügbar sei (Lenckner/Perron/Eisele, a.a.O.; Lackner/Kühl, a.a.O.), verfehlen die Besonderheiten der in das Internet eingestellten und von dort abgerufenen Dateien. Zwar ist die Verfügungsgewalt des Computernutzers über die aufgerufenen und bloß in den Arbeitsspeicher geladenen Dateien in mehrfacher Hinsicht beschränkt: Sie ist nur von verhältnismäßig kurzer Dauer und von vornherein nicht final auf längere Zeit angelegt, sondern beschränkt sich auf den Zeitraum des Betrachtens. Sie ist nicht gefestigter Natur, da sie spätestens dann endet, wenn der Nutzer die Seite verlässt oder die Internet-„Sitzung“ aus sonstigen Gründen – freiwillig oder unfreiwillig – beendet. Die Besonderheit besteht aber darin, dass Dateien nicht körperlicher Natur sind und nicht – wie es dem Regelfall körperlicher Gegenstände entspricht – zur selben Zeit von nur einer Person unmittelbar in Besitz genommen werden können. Vielmehr werden die Dateien bei jedem Aufruf durch einen Internet-Nutzer „vervielfältigt“ und stehen dem jeweiligen Nutzer und Betrachter im selben Umfang wie dem Anbieter zur Verfügung. Die Kopie entspricht vollen Umfanges dem „Original“, weshalb auch das nur kurzzeitige Herunterladen dem Nutzer volle Verfügungsgewalt über die aufgerufenen Dateien verschafft, die der Anbieter nicht mehr hindern kann. Der Nutzer allein hat unbeeinflusst durch den Anbieter in der Hand, wie er die Datei verwendet.Auch hier beruht die Argumentation auf der Gleichsetzung von Daten/Dateien mit Datenspeicher. Die in der Lehre herrschende Auffassung, die flüchtige Speicherung im Arbeitsspeicher genüge nicht, lässt sich damit begründen, dass dieser Arbeitsspeicher als Datenspeicher eben nicht ein Besitzverhältnis zu den dortigen Inhalten vermittelt wie etwa eine Festplatte, ein USB-Stick oder eine CD mit den gleichen Daten. Insofern ist die erweiternde Argumentation des OLG Hamburg, man müsse der Flüchtigkeit der "Daten" gerecht werden nicht erforderlich, um eine angemssene Gesetzesanwendung zu ermöglcihen. Vielmehr scheint mir eine petitio principii vorzuliegen, wenn aus der Besonderheit der Flüchtigkeit der Daten geschlossen wird, dann müsse Besitz auch schon beim Laden der Daten zur bloßen Betrachtung bejaht werden. Dies führt nämlich zu einer uferlosen Ausweitung, die von den Besonderheiten des Datenverkehrs eben nicht veranlasst ist.
Die erste Einschätzung von Jens Ferner ist ähnlich und wird von mir geteilt: "Die hier gewählte Argumentation verwischt den Unterschied zwischen Vorbereitungshandlung, Versuchsstadium und Vollendung so, als würde man den geneigten Kaufhausdieb schon dann bestrafen, wenn er die Bierflasche nur in die Hand nimmt und noch überlegt, ob er sie einsteckt oder doch bezahlt (oder zurückstellt)." (Quelle)
Wie gesagt, sind das nur erste Kommentare und Einschätzungen, eine ausführliche Kritik bedarf noch eingehender Prüfung.