BAG billigt streikbegleitende Flashmob-Aktionen
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Ein neues Urteil des BAG zum Arbeitskampfrecht wird aller Voraussicht nach vehemente Kritik (zuvor schon kritisch Rieble, NZA 2008, 796) auf sich ziehen. Es geht um die Zulässigkeit gewerkschaftlicher Aktionen, die in unterschiedlicher Gestalt daherkommen und von denen bislang vor allem der Einzelhandel betroffen war. Im entschiedenen Fall hatte die Gewerkschaft ver.di im Rahmen eines Arbeitskampfes eine einstündige Aktion organisiert, bei der ca. 40 Personen überraschend eine Einzelhandelsfiliale aufgesucht und dort mit Waren vollgepackte Einkaufswagen zurückgelassen sowie durch koordinierten Kauf von "Pfennig-Artikeln" Warteschlangen an den Kassen verursacht hatten. Der Erste Senat des BAG unter Vorsitz seiner Präsidentin hat ausweislich der hierzu herausgegebenen Pressemitteilung (Urt. vom 22.9.2009 - 1 AZR 972/08, Pressemitteilung 95/09) nun derartige Flashmob-Aktionen für "nicht generell unzulässig" gehalten und damit im Ergebnis die Vorsinstanz (LAG Berlin-Brandenburg, hierzu bereits der Blog-Beitrag vom 29.9.2008) bestätigt. Zwar liegt nach Ansicht des 1. Senats ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Arbeitgebers vor. Ein solcher Eingriff könne aber aus Gründen des Arbeitskampfes gerechtfertigt sein. Gewerkschaftliche Maßnahmen, die zur Durchsetzung tariflicher Ziele auf eine Störung betrieblicher Abläufe gerichtet sind, unterfielen der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften. Zu dieser gehöre die Wahl der Arbeitskampfmittel. Deren Zulässigkeit richte sich jedoch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Arbeitskampfmittel seien rechtswidrig, wenn sie zur Durchsetzunge der erhobenen Forderungen offensichtlich ungeeignet oder nicht erforderlich oder unangemessen seien. Für die Beurteilung der Angemessenheit einer gewerkschaftlichen Arbeitskampfmaßnahme sei von wesentlicher Bedeutung, ob für die Arbeitgeberseite Verteidigungsmöglichkeiten bestehen. Gegenüber einer "Flashmob-Aktion" im Einzelhandel könne sich der Arbeitgeber durch die Ausübung seines Hausrechts oder eine kurzfristige Betriebsschließung zur Wehr setzen. Eine derartige Aktion sei typischerweise auch keine Betriebsblockade. Das Urteil fügt sich in eine Reihe von Urteilen aus neuerer Zeit (insbesondere zum Sympathiestreik und zum Streik um Tarifsozialpläne) ein, die das Streikrecht der Gewerkschaften deutlich ausgeweitet haben. Die bisherigen Grenzziehungen werden tendenziell zugunsten eines diffusen Verhältnismäßigkeitsmaßstabs aufgelöst. Was das vorliegende Urteil angeht, darf bezweifelt werden, ob eine Betriebsschließung als Verteidigungsmittel eine realistische Möglichkeit darstellt, die Auswirkungen solcher überfallartiger Aktionen zu begrenzen. Wie darf man sich das konkret vorstellen? Es fällt ferner auf, dass das BAG nunmehr sogar gezielte Sabotageakte (nicht mehr nur das gezielte Zurückhalten der Arbeitsleistung) als zulässige Arbeitskampfmaßnahmen qualifiziert. Damit ist eine neue Intensitätsstufe des Arbeitskampfes erreicht. Opfer solcher Aktionen sind im übrigen nicht nur die Inhaber der Einzelhandelsgeschäfte, sondern auch das dort tätige Personal. Man sieht: von Flashmob zu Mobbing ist es nicht weit.