Bundesverfassungsgericht: Beschlagnahme von E-Mails auf dem Server des Providers ist verfassungsgemäß
Gespeichert von Jan Spoenle am
Das Bundesverfassungsgericht hat heute den Volltext einer Entscheidung vom 16. Juni 2009 veröffentlicht, mit der eine Verfassungsbeschwerde gegen die Beschlagnahme von E-Mails auf dem Server des Providers abgewiesen wurde. Dabei handelt es sich wohl um die erste Entscheidung zum neuen § 110 Abs. 3 StPO; die Ausführungen des höchsten deutschen Gerichts haben aber auch generell ein großes Gewicht für die künftige Tätigkeit von Strafverfolgungsbehörden angesichts der zunehmenden Verlagerung von Lebenssachverhalten in digitale Gefilde. Nach dem ersten Lesen fallen mir vor allem folgende Punkte auf:
1. Auf dem Server ruhende E-Mails werden von Art. 10 Abs. 1 GG geschützt
Zwar entspreche das "Ruhen" der Kommunikationsinhalte nicht dem technischen Konzept der üblichen Definition von Kommunikation (Aussenden, Übermitteln, Empfangen), die vom Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 10 Abs. 1 GG umfasst ist. Doch sei der Schutzbereich nicht aus technischer Sicht, sondern von der Perspektive des Grundrechtsträgers und dessen Schutzbedürftigkeit aus zu bestimmen. Daher gilt laut BVerfG auch bei IMAP-Nutzung: Das Fernmeldegeheimnis schützt selbst bereits gelesene E-Mails.
2. § 94 StPO als Eingriffsgrundlage für Art. 10 Abs. 1 GG
Die Karlsruher Richter postulieren weiterhin, dass der Gesetzgeber in Bezug auf § 94 StPO schon aufgrund seiner systematischen Stellung nicht davon ausgegangen sein wird, dass nur mittels der §§ 99, 100a und 100g StPO in das Fernmeldegeheimnis eingegriffen werden könne. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich dafür nichts. Soweit in einzelnen Entscheidungen bislang § 99 StPO oder § 100a StPO für die richtige Rechtsgrundlage gehalten worden war, berühre das nicht die Anwendbarkeit von §§ 94 StPO ff. für die Beschlagnahme von Mails auf einem Server.
3. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs: Schritthalten der Strafverfolgungsbehörden im digitalen Bereich
Von großer Bedeutung wird auch sein, dass die obersten Richter erneut betonen: "Das Schritthalten der Strafverfolgungsbehörden mit der technischen Entwicklung kann [...] nicht lediglich als sinnvolle Abrundung des Arsenals [...] begriffen werden [...], sondern ist vor dem Hintergrund der Verlagerung herkömmlicher Kommunikationsformen hin zum elektronischen Nachrichtenverkehr einschließlich der anschließenden digitalen Verarbeitung und Speicherung zu sehen", denn: "Die vermehrte Nutzung elektronischer und digitaler Kommunikationsmittel und ihr Vordringen in nahezu alle Lebensbereiche erschweren die Strafverfolgung."
Daraus folgert das BVerfG, dass ein Anfangsverdacht für die Beschlagnahme von E-Mails auf dem Server des Providers genügt, sofern diese – wie üblich – offen stattfindet, etwa wie im Anlassfall im Rahmen einer Durchsuchung mit Ausdehnung über § 110 Abs. 3 StPO. Auch eine Beschränkung auf Straftaten mit erheblicher Bedeutung komme insoweit nicht in Frage; es sei nicht gerechtfertigt, den großen Bereich an relevanten Delikten unterhalb dieser Schwelle wie etwa der §§ 185, 202a oder auch 184 und 184a StGB von dieser Ermittlungsmöglichkeit auszuschließen.
4. Keine Anwendung des neuen Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG
Am neuen "IT-Grundrecht" zu messen seien nur Eingriffe, die nicht bereits durch andere Grundrechte, insbesondere Art. 10 oder Art. 13 GG, sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung abgedeckt werden. Damit stellt das Gericht nochmals klar, dass das neue Grundrecht kein umfassender Heilsbringer gegen Eingriffe in digitale Angelegenheiten ist, sondern nur für speziell gelagerte Sachverhalte in Stellung gebracht werden kann, wozu der Zugriff auf Mails beim Provider gerade nicht gehört.
Was meinen die Beck-Blog-Leser zu der Entscheidung? Lässt sich aus der für die Ermittlungsbehörden erfreulichen Entscheidung eine Tendenz herauslesen?