Integrationsbeauftragte der Bundesregierung kritisiert Hassemer für seine Äußerungen zu Ehrenmorden
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Mit großem Unverständnis hat Staatsministerin Maria Böhmer auf die jüngsten Äußerungen des ehemaligen Verfassungsrichters Winfried Hassemer zu so genannten Ehrenmorden reagiert: «Die Aussagen Hassemers haben mich schockiert. Sie demütigen die Opfer und sind ein Schlag ins Gesicht der Frauen und Männer, die akut von solchen Morden bedroht sind.» Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts hatte sich in einem Interview mit Spiegel-Online dafür ausgesprochen, bei «Ehrenmorden» den sozialen Kontext des Täters mildernd zu berücksichtigen. Deshalb sind «Ehrenmorde» nach Ansicht Hassemers nicht zwingend mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu ahnden.
Böhmer: Eher "Schande-Morde" als "Ehrenmorde"
Schon der Begriff des «Ehrenmords» sei irreführend, erklärte Staatsministerin Böhmer. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan habe treffenderweise von «Schande-Morden» gesprochen. Für den Mord an jungen Frauen und auch Männern dürfe es keine mildernden Umstände geben. Potenziellen Tätern müsse deutlich gemacht werden, dass solche schweren Gewaltverbrechen in Deutschland mit aller Härte und Konsequenz geahndet würden. Das belegten auch mehrere Gerichtsurteile der vergangenen Zeit zu diesen Morden. Die Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen ende dort, wo Menschenrechte und Gleichberechtigung missachtet würden, so Böhmer.
Böhmer: Hassemer untergräbt mit seinen Äußerungen die Präventionsarbeit
Nach Meinung Böhmers untergräbt Hassemer mit seinen Aussagen zudem die Präventionsarbeit, die solche Morde verhindern solle. Viele Migrantenorganisationen und Respektspersonen aus der Gemeinschaft der Zugewanderten bemühten sich intensiv, deutlich zu machen, dass weder Religionen noch Traditionen Gewalt und Unterdrückung von Frauen rechtfertigten. Auch für ihre Arbeit seien die Äußerungen Hassemers kontraproduktiv und belastend. Nach den Worten Böhmers muss, wer dauerhaft in Deutschland leben möchte, die Grundregeln des hiesigen Zusammenlebens nicht nur vorbehaltlos akzeptieren, sondern auch leben. Dazu gehöre selbstverständlich, dass Frauen und Mädchen die gleichen Rechte auf ein selbstbestimmtes Leben und die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit hätten wie Männer.
Hassemers Äußerungen im einzelnen
Auf die Frage von Spiegel-Online, in welcher Form und inwieweit das deutsche Strafrecht darauf Rücksicht nehmen sollte, dass in Deutschland viele Menschen leben, die unter ganz anderen Normen aufgewachsen sind und die sich anderen Normen als unseren westlichen verpflichtet fühlten - Stichwort Ehrenmord, sagte Hassemer: «Meine Meinung ist da vielleicht ein bisschen anders als die der Mehrheit. Ich finde, bei einer derartigen Tat müssen auch der soziale Kontext und die Sozialisation des Täters bedacht werden. Er lebt vermutlich nach anderen sozialen Mustern. Deshalb muss man auch einen Verbotsirrtum in Erwägung ziehen.» Die nächste Frage lautete: Das heißt, wer von einem Verbot nichts weiß, geht straffrei aus. Wer es hätte kennen können, aber nicht gekannt hat, bekommt ein milderes Urteil. Hassemer sagte darauf: «Genau. Ich denke, diese Frage muss man bei so genannten Ehrenmorden beantworten. Die andere Seite ist unser ordre public, nämlich das, was hinter den Gesetzen steht und worauf wir nicht verzichten wollen. Diesen ordre public bemüht man zum Beispiel bei internationalen Strafsachen. Wenn etwa jemand im Ausland in Abwesenheit verurteilt wurde, dann können wir dieses in der Regel nicht übernehmen. Abwesenheitsverfahren gehen bei uns grundsätzlich nicht.» Beim Ehrenmord wirkt sich das nach Hassemers Meinung insofern aus, als dass der ordre public sage, dass es derartige Verbrechen bei uns nicht geben dürfe und dass man sie auch nicht entschuldigen könne. Deshalb werde dem Täter am Ende ein niedriger Beweggrund vorgeworfen. Damit werde seine Tat als Mord gewertet. «Ich finde, diese Verschärfung ist zu abstrakt, sie geht zu schnell, und sie geht sehr weit», so Hassemer im Spiegel-Interview.