Ca. zehn Gefangene aus Guantanamo - eine Zumutung?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Seit vorgestern ist bekannt, dass die USA förmlich darum bitten "etwa zehn" Gefangene, die sie jahrelang ohne Rechtsgrundlage in Guantanamo festgehalten haben, in Deutschland aufzunehmen, eine Frage, die sich schon seit Längerem abgezeichnet hat. Es handelt sich wohl um Angehörige der uigurischen Minderheit (die immerhin aus ca. 9 Millionen Menschen besteht) aus China, die auf dem afghanischen Kriegsschauplatz gefangen genommen wurden. In der Süddeutschen Zeitung heißt es genauer, die Uiguren seien nach Pakistan geflohen und vom pakistanischen Militär 2002 an die USA ausgeliefert worden.
Man liest Widersprüchliches zur Einschätzung, ob sich Teile der uigurischen Minderheit in ihren Autonomiebestrebungen gegenüber China auch Terroristen angenähert haben (ob die betr. Gefangenen konkret dazu gehören, wäre eine weitere Frage). Es heißt, China unterdrücke die Uiguren (ähnlich wie die Tibeter) und verfahre dabei menschenrechtswidrig - es gibt entspr. Berichte von amnesty international (Quelle: hier). Man hört auch, die USA habe damals primär aus diplomatischen Gründen, nämlich um China in ihren weltweiten "war on terror" einzubinden, die ETIM (East Turkestan Islamic Movement) als terroristische Vereinigung eingestuft. (Quelle: hier)
Die Gefangenen sollen nun nach Einschätzung der US-Behörden "unschuldig" (soll wohl heißen, nicht Angehörige von Terrorgruppen) und "ungefährlich" sein (soll wohl heißen, es ist nicht damit zu rechnen, dass sie nach ihrer Freilassung erhebliche Straftaten begehen werden). Wenn man die Richtigkeit dieser Berichte unterstellt, fragt sich, welchen vernünftigen Grund es geben kann, diese Menschen nicht in Deutschland aufzunehmen. Zeit-Online dokumentiert einige Antworten aus den Kreisen der uns (immer noch) regierenden Koalition:
"Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach befand, die USA oder die Heimatländer seien für die Aufnahme verantwortlich (...). Außerdem sei eine Aufnahme "mit einem erheblichen Risiko verbunden". Deshalb dürfe Deutschland nicht sofort laut "Ja" rufen. Schon vorher hatte Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) grundsätzliche Sicherheitsbedenken erhoben, während Außenminister Frank-Walter Steinmeier ebenso grundsätzlich für eine Aufnahme aus humanitären Gründen plädiert."
Möglicherweise hat Zeit-Online hier verkürzt zitiert. Ansonsten sind das erstaunlich einfach strukturierte Antworten der Herren Bosbach, Schäuble und Steinmeier. "Grundsätzliche" Sicherheitsbedenken führt man an, wenn man nichts Substantiiertes sagen kann. Herr Bosbach muss wissen, dass das Heimatland (China) für die Freigelassenen eben keine Alternative ist. Nur deshalb wird ja die Frage der Aufnahme überhaupt relevant. Welche "erhebliche Risiken" Bosbach sieht - es bleibt sein Geheimnis. Wenn Herr Steinmeier für eine Aufnahme aus humanitären Gründen plädiert, hört sich das vernünftig an, aber die Frage, die doch zu allererst zu beantworten ist (und insofern hat Bosbach auch Recht): Warum werden die Gefangenen nicht in den USA aufgenommen? Natürlich sind zunächst die USA verantwortlich und sie können die Verantwortung auch nicht einfach auf andere Länder abschieben. Schon gar nicht, wenn der eigentliche Grund für die Anfrage darin bestehen sollte, dass man in den USA juristischen Ärger befürchtet, sollten die Uiguren auf dem Festland klagen. Amnesty international fordert weiterhin, die Uiguren in die USA zu lassen.
Wenn allerdings ein Leben in den USA den Gefangenen nicht zumutbar sein sollte, dann stellt sich die "humanitäre Frage", die man dann wohl kaum vernachlässigen kann. Zu berücksichtigen bei der Entscheidung: Die USA ist ein verbündeter Staat, an dessen Afghanistan-Mission sich auch Deutschland beteiligt. Die von einigen Politikern wählerwirksam verbreitete Ansicht "das geht uns Deutsche nichts an" ist vor diesem Hintergrund fragwürdig. Und in München befindet sich bereits eine Gruppe Exil-Uiguren, die offenbar so weit integriert sind, dass selbst die Münchener CSU einer Aufnahme weiterer Uiguren zustimmt (Uiguren in München willkommen - Iris Hilberth auf FR-Online), während Herr Ramsauer noch mit der gegenteiligen Behauptung auf Wählerstimmenfang geht.
Zwei Artikel möchte ich zur Lektüre empfehlen. Sie machen die Sache nicht einfacher, aber so einfach, wie sie Politiker im Wahlkampf gern haben, ist die Wirklichkeit eben nicht:
Debattenbeitrag "Komplizierte Gäste" von Torsten Kraul auf Welt-Online
Hier noch ein ausgewogener Hintergrundbericht von Albrecht Metzger zur uigurischen Autonomiebewegung in China und den möglichen Verbindungen zum Terrorismus auf qantara.de.