Was ist ein Geständnis wert? - Gisela Friedrichsen analysiert den Fall Pascal
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Schon im Zusammenhang mit dem Holzklotz-Fall stellte sich die Frage: Was ist ein Geständnis wert? - Dieser Frage geht nun die renommierte SPIEGEL-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen in ihrem vor wenigen Wochen erschienenen Buch "Im Zweifel gegen die Angeklagten. Der Fall Pascal - Geschichte eines Skandals" nach. Eine aufrüttelnde Lektüre für jeden strafrechtlich Interessierten!
Die Anklage
Angeklagt werden 13 Personen, denen zur Last gelegt wird, am 30.9.2001 in Saarbrücken in der "Tosa-Klause" Pascal sexuell missbraucht und getötet bzw. hierzu Beihilfe geleistet zu haben. Darüberhinaus wird sieben Angeklagten vorgeworfen, bereits zuvor die Kinder Pascal und Bernhard bei verschiedenen Gelegenheiten missbraucht zu haben.
Die Hauptverhandlung
Der Prozess beginnt am 20.9.2004 und endet nach 147 Verhandlungstagen, 294 Zeugen sind im Lauf der Hauptverhandlung vernommen worden, drei Jahre später am 7.9.2007. Während der Hauptverhandlung bezichtigen sich fünf Angeklagte selbst des brutalen Missbrauchs und schließlich auch des Mordes an Pascal oder der Beihilfe dazu - in immer neuen, widersprüchlichen Varianten, die sie früher oder später widerrufen, die Widerrufe bisweilen allerdings auch und die Widerrufe ebenfalls. Und: Es fanden sich weder Blut-, Sperma- noch DNA-Spuren
Das Urteil
Das LG Saarbrücken spricht am 7.9.2007 sämtliche noch lebenden Angeklagten frei (einer der Angeklagten ist während des Verfahrens verstorben), weil es sich nicht von einer Beteiligung der Angeklagten an den ihnen vorgeworfenen Taten überzeugen konnte. Heftig kritisiert Friedrichsen nicht die Freisprüche, sondern deren Begründung, die einem Schuldspruch gleichen und zum Titel ihres Buchs führten.
Was ist ein Geständnis wert?
Wieso gestehen fünf der im Pascal-Prozess Angeklagten einen Mord begangen oder beobachtet zu haben, obwohl dies nicht der Fall ist? Warum gestehen überhaupt Personen Taten, die sie nicht geübt haben? Diesen Fragen geht Gisela Friedrichsen nach, in dem sie die Lebensgeschichte der wichtigsten Angeklagten und Zeugen sowie den Gang des Verfahrens nachzeichnet - und wie dabei die zentralen Erfahrungen aus den Prozessen in Münster und Worms missachtet und die Stellungnahme des von der Staatsanwaltschaft befragten, renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Aussagepsychologie Prof. Dr. Max Steller ignoriert werden. Seit "Münster" sind sich alle seriös arbeitenden forensischen Psychologen einig, dass zwischen einem "wahren Kern" und einem "fantasierten Gesamtgeschehen" nicht unterschieden werden kann, sobald suggestive Prozesse bei der Befragung eines Kindes zu sexuellen Missbrauch nicht auszuschließen sind.
Jedem, der sich für die Frage interessiert, wie es zu falschen Geständnissen kommen kann, empfehle ich das Nachwort des Kieler Psychologen und Gerichtsgutachters Prof. Dr. Günter Köhnken, der erklärt, warum es mehr falsche Geständnisse gibt, wie man landläufig meint, und wo die Ursachen für falsche Geständnisse liegen (vor allem subjektiv erlebter Befragungsdruck). Auch referiert er den Stand der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion über diese Frage.
Übrigens ...
Der BGH hat mit Beschluss vom 18.11.2008 - 4 StR 301/08 - (BeckRS 2008 25004) die Revision des Nebenklägervertreters gegen das freisprechende Urteil des LG Saarbrücken als unzulässig verworfen. Über die Revision der Staatsanwaltschaft ist meines Wissens noch nicht entschieden.