Außergewöhnlich: Eine Person mit zwei genetischen Identitäten - Vorsicht bei Genspuren!
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Was millionenfach bewiesen ist, glaubte ich bis vor wenigen Tagen: Jeder Mensch verfügt über einen einzigartigen genetischen Fingerabdruck - ausgenommen eineiige Zwillinge, die sich dieselben Erbanlagen teilen. Wie das Münchner Institut für Rechtsmedizin aber jetzt feststellte, kann eine Person sowohl weibliche wie auch männliche DNA-Fragmente aufweisen.
Hintergrund: ein Suizid
Jemand hatte sich vor die S-Bahn geworfen. Die menschlichen Überreste waren 300 m an der Bahn-Strecke verstreut. Alles deutete auf den Vermissten Walter W., der auch einen Abschiedsbrief hinterlassen hatte. Zum Vergleich mit den am Unfallort sichergestellten DNA-Spuren nahmen die Polizeibeamten aus der Wohnung des W. den Nassrasierer mit. Am Rasierapparat wurden sowohl weibliche als auch männliche DNA-Fragmente nachgewiesen, während das sichergestellte Leichenblut nur die - mit dem Rasierapparat identische - weibliche DNA aufwies. Ein Doppelselbstmord eines unglücklichen Liebespaars, das den gleichen Rasierapparat benutzte? Nein, der Tote besaß zwei genetische Identitäten, weil eine Frau ihm vor Jahren Knochenmark gespendet hatte. Nach der Transplantation wiesen die Blutzellen des W. die DNA-Merkmale der Spenderin auf. In allen anderen Körperzellen blieb das ursprüngliche DNA-Muster des Mannes erhalten.
Das Phänomen der Doppel-DNA
Medizinern und Biologen ist das Phänomen der Doppel-DNA bei Knochenmarktransplantationen (in Deutschland seit 1998 in mehr als 17.600 Fällen erfolgreich praktiziert) bekannt. Bei Organverpflanzungen besitzt (und behält) nur das transplantierte Organ die Merkmale des Spenders. Bei Bluttransfusionen vermehren sich die Zellen des Spenders nicht und gehen deshalb mit der Zeit verloren.
Bedeutung für die Praxis
Kein Grundsatz ohne Ausnahme!
Der Verdacht könnte sich gegen einen Unschuldigen richten, nämlich den Knochenmarkspender, wenn sich am Tatort die Blutspuren des mutmaßlichen Täters finden, aus denen das DNA-Profil erstellt wird. Andererseits könnte der Täter leicht aus dem Blick geraten, wenn er lediglich einem Speicheltest unterzogen wird, wenn das Tatort-Blut (wie vorliegend) lediglich Zellen des Spenders aufweist.