Geschwisterinzest bleibt strafbar - Das BVerfG hat eine Chance vertan
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Mit dem gestern veröffentlichten Beschluss vom 26. Februar 2008 - 2 BvR 392/07 - bestätigt das BVerfG die Strafbarkeit des Geschwisterinzests nach § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB: Der Gesetzgeber habe mit der strafrechtlichen Sanktionierung seinen Entscheidungsspielraum nicht überschritten, indem er die Wahrung der familiären Ordnung vor schädigenden Wirkungen des Inzests, dem Schutz der in einer Inzestbeziehung "unterlegenen" Partner sowie ergänzend die Vermeidung schwerwiegender genetisch bedingter Erkrankungen bei Abkömmlingen aus Inzestbeziehungen als ausreichend erachtet hat.
Dagegen halte ich die abweichende Meinung des Vizepräsidenten des BVerfG Prof. Dr. Winfried Hassemer für überzeugend begründet, der die Strafnorm nicht in Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sieht.
Darf es Strafnormen geben, ein strafrechtliches Rechtsgut nicht in Mitleidenschaft ziehen? Reicht der Schutz eines Tabus, einer mächtigen Moralvorstellung aus, Strafe zu rechtfertigen? Diese Fragestellungen kommen nur im Sondervotum vor. Nach Hassemer verfolgt § 173 Abs. 2 Satz 2 StGB schon kein Regelungsziel, das in sich widerspruchsfrei und mit der tatbestandlichen Fassung vereinbar wäre. - Der Ertrag der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist, wenn diese so wie von der Senatsmehrheit vollzogen wird, bereits dadurch begrenzt, dass die Geeignetheit und Erforderlichkeit abhängig sind von der gesetzgeberischen Zielvorgabe; die Entscheidung über die Angemessenheit von Eingriff und verfolgtem Zweck obliegt grundsätzlich dem parlamentarischen Gesetzgeber, so dass das in politischer Willensbildung gefundene Ergebnis dieses Abwägungsvorgangs nur im Ausnahmefall einer evidenten Unverhältnismäßigkeit verfassungsgerichtlich justizabel ist.
Der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab der Verhältnismäßigkeit ist, wie das Sondervotum zeigt, durchaus in der Lage im Verfassungsrecht die Rechtsgutskonzeption zu rekonstruieren. Weil dies im Mehrheitsvotum unterblieben ist, hat das BVerfG die Chance vertan, das weit weniger als die strafrechtliche Rechtsgutstheoie ausgearbeitete Verhältnismäßigkeitsprinzip im Sinne eines strafbarkeitseinschränkenden Prinzips zu konkretisieren.