Worüber ich mich ärgere: Der offene Brief der Musikindustrie
Gespeichert von Prof. Dr. Thomas Hoeren am
Der Bundesverband Musikindustrie hat in den letzten Tagen in allen Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen schalten lassen, in denen 200 "Künstler" einen Offenen Brief an Angela Merkel richten (nur ganz klein in der Anzeige ist die tatsächliche Herkunft der Anzeige erkennbar.
Vor allem im Internet würden Musik, Filme oder Hörbücher millionenfach unrechtmäßig angeboten und heruntergeladen, ohne dass die Kreativen, die hinter diesen Produkten stehen, dafür eine faire Entlohnung erhalten“, heißt es in dem Schreiben das unter anderem von Herbert Grönemeyer, Tokio Hotel, Thomas Quasthoff, Amelie Fried, Julia Frank, Andreas Langenscheidt, Til Schweiger, Bernd Eichinger und Stefan Arndt unterzeichnet wurde. „Langfristig wird so die kulturelle Vielfalt in unserem Land abnehmen und wir verspielen eine unserer wichtigsten Zukunftsressourcen“, so die Unterzeichner.
Zur Lösung des Problems verweisen die Unterzeichner auf Initiativen in Frankreich und England, wo auf Druck der Regierungen die Internetprovider künftig bei der Bekämpfung der Internetpiraterie stärker in die Verantwortung genommen werden sollen. Nach mehrfachen „Verwarnungen“ durch ihren Internetprovider müssten Anschlussinhaber damit rechnen, dass ihnen der Vertrag gekündigt wird, wenn sie ihr unrechtmäßiges Handeln nicht unterlassen. Schätzungen zufolge entfallen allein in Deutschland 70 Prozent des Internetverkehrs auf die Nutzung meist illegaler Tauschbörsenangebote. „Während die milliardenschwere Telekommunikationsindustrie massiv von der Nutzung illegaler Inhalte profitiert, verweigert sie beim Schutz geistigen Eigentums die Verantwortung“, so die "Kreativen".
http://www.musikindustrie.de/fileadmin/news/politik/downloads/080425_off...
Ich habe langsam die Nase von den Frechheiten der Musikindustrie voll. Undifferenziert wird auf Nutzer und TK-Industrie eingeschlagen. Falsche Zahlen (70% der TK-Nutzung seien illegaler P2P-Verkehr) werden kombiniert mit schrägen Vergleichen gerade mit dem Zensurland China und dubiose Zitate just von Mark Getty ("Geistiges Eigentum sei das Öl des 21. Jahrhunderts"). Die eigenen Haussklaven werden als Unterzeichner vorgeschickt und instrumentalisiert, statt sich mal zu fragen, ob man nicht als Musikindustrie angemessene Salärs an Kreative zahlt. Jede differenzierte Auseinandersetzung fehlt: Hat nicht der Gewinneinbruch in der Musikindustrie noch andere Gründe als P2P? Kann die TK-Industrie überhaupt effektiv den Zugang zu Websites sperren? Ist nicht Urheberrecht geprägt durch eine komplexe Suche nach einem Gleichgewicht zwischen schützenswerten Urheber-, Verwerter- und Nutzerinteressen?
Man will in der Musikindustrie nicht differenziert denken. Man will schlagen, hauen, klotzen. Dualismus ist eben besser verkäuflich als differenzierte Prüfung und Gespräche. Gut = Musikindustrie - böse = der Rest der Welt, die Hörer von Musik (eine Industrie straft ihre Kunden), TK-Industrie, Internetnutzer, Andersdenkende.