Bundesregierung: "Staatlich gebotene Datenaufbewahrungspflicht" verhindert "faktisches Verfolgungsprivileg"
Gespeichert von Jan Spoenle am
Die Bundesregierung hat in einer Stellungnahme Ihres Bevollmächtigten Prof. Dr. Christoph Möllers für das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung gegen anhängige Verfassungsbeschwerden verteidigt; das über 110 Seiten lange Dokument ist seit kurzem als PDF-Download erhältlich.
So ist die Bundesregierung der Ansicht, das BVerfG sei im Großen und Ganzen überhaupt nicht zuständig: Bis auf eine Regelung bleibe das deutsche Umsetzungsgesetz im Rahmen der Richtlinie, welche vom BVerfG aufgrund der Solange-II-Rechtsprechung derzeit nicht justitiabel sei. In Bezug auf den einzigen Gegenstand des Umsetzungsgesetzes, der über die Richtlinie hinausgehe - laut Ansicht der Bundesregierung handelt es sich hierbei lediglich um die Nennung weiterer Zwecke der Datenspeicherung – fehle es den Beschwerden mangels unmittelbarer Betroffenheit an der Zulässigkeit.
Die Bundesregierung spricht dabei im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Eingriffe, die sie der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung zuordnet, vielmehr von einer "staatlich gebotenen Datenaufbewahrungspflicht" – ein Argument, das sich vor dem Hintergrund der jüngsten Entscheidung des EGMR gegen Finnland durchaus hören lässt. Die vom Bundesverfassungsgericht einstweilen kassierte Einbeziehung der mittels Telekommunikation begangenen Straftaten sei wichtig, um ein "faktisches Verfolgungsprivileg" von über das Internet begangenen Straftaten zu vermeiden. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme: "Im Ergebnis würde der Verzicht auf die Verkehrsdatenabfrage in diesen Fällen zu einer letztlich willkürlichen Asymmetrie bei der Verfolgung von Straftaten führen und bestimmte kriminelle Aktivitäten durch ein 'faktisches Verfolgungsprivileg' begünstigen. Die Rechtsordnung würde einen Anreiz setzen, Straftaten auf diese Art und Weise zu begehen."
Auch wenn ich das Argument in der Sache durchaus nachvollziehen kann – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Internetkriminalität –, so widerspricht diese Stellungnahme doch der bisherigen Auffassung der Bundesregierung, bei der Zuordnung von IP-Adressen zu einem Anschluss zwecks Idenitätsfeststellung handele es sich um den Abruf von Bestandsdaten nach § 113 TKG. Insofern erscheint die Tatsache, dass nun von einer "Verkehrsdatenabfrage" die Rede ist, wo doch (wahrscheinlich) erstens eine Bestandsdatenabfrage gemeint war und zweitens der im Rahmen der Verfassungsbeschwerde angegriffene § 100g StPO n.F. nicht mehr vom Abfragen, sondern vom Erheben von Verkehrsdaten spricht (was naturgemäß etwas anderes ist als das lediglich passive Abfragen beim Provider), recht interessant ... Die Hauptsacheverhandlung in Karlsruhe verspricht demnach einige Spannung.