Entscheidung des High Court of Justice - Julian Assange wird an Schweden ausgeliefert
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Heute früh wurde die Entscheidung des High Court of Justice Queen´s Bench Division veröffentlicht, in der das Rechtsmittel von Julian Assange gegen seine Auslieferung auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls, ausgestellt von schwedischen Behörden, zurückgewiesen wird.
Es geht um vier Vorwürfe gegen Assange, sein Verhalten an mehreren Tagen und zwei Frauen gegenüber betreffend:
1. Unlawful Coercion (in etwa Nötigung) - Assange soll der Zeugin die Arme festgehalten und sie mit dem Gewicht seines Körpers an der Bewegung gehindert haben.
2. Sexual Molestation ("Sexuelle Belästigung") - Assange soll mit der Zeugin ohne Kondom verkehrt haben, obwohl sie dies zur Bedingung ihres Einvernehmens zum Geschlechtsverkehr gemacht habe
3. Sexual Molestation ("Sexuelle Belästigung") - Assange soll sich mit einer Erektion der Zeugin genähert haben
4. Rape ("Vergewaltigung" einer hilflosen Person) - Assange soll mit der noch schlafenden Zeugin ohne deren Einverständnis Geschlechtsverkehr begonnen haben
Die 43-seitige Entscheidung ist hier (pdf) vollständig veröffentlicht, es gibt auch eine Zusammenfassung. Die Auseinandersetzung mit den Einwänden Assanges (siehe hier) gegen die Auslieferung ist in der Entscheidung außerordentlich detailliert und auch nachvollziehbar. Ausführlich erörtert der High Court zunächst, dass es sich bei der ausstellenden Staatsanwaltschaft um eine "judicial authority" handelt, wenn daran auch kein Richter im engeren Sinne beteiligt war. Zudem wird die Haftbefehls-Voraussetzung, dass der Betroffene „accused“ sein müsse in dem Sinne – gut begründet – interpretiert, dass nicht erst die förmliche Anklageerhebung, sondern schon eine Beschuldigung und tatsächliche Ermittlung gegen eine Person dieses Merkmal erfülle.
Ebenfalls ausführlich wird dem Einwand begegnet, die materiellen Vorwürfe beruhten allein auf einer verkürzten Darstellung und bei Berücksichtigung des gesamten Verfahrensstoffes aus den Akten ergebe sich, dass die Vorwürfe nicht zuträfen, zumindest keine Strafbarkeit in beiden Ländern (UK und Schweden) begründeten ("dual criminality"). Der High Court fährt hier eine zweifache Begründungsstrategie. Zunächst wird die Berücksichtigung und Prüfung weiteren Materials ("extraneous material") als nicht notwendig erachtet, wenn sich aus der knappen Beschreibung im Haftbefehl eine doppelte Strafbarkeit ergebe. Sodann wird aber doch (sozusagen hilfsgutachtlich) das Material, das Assange zusätzlich anführt, berücksichtigt. Auch danach ergebe sich in allen vier Vorwürfen hinreichender Anlass, eine doppelte Strafbarkeit anzunehmen. In der Tat bekommen bei Berücksichtigung dieses Vorbringens die Anschuldigungen z. T. ein beträchtlich geringeres Gewicht: Jeweils zeigt sich, dass Assanges Verhalten - im Zusammenhang gesehen - erheblich weniger "gewaltsam" bzw. nötigend gewesen ist, als die abstrakten Vorwürfe es zunächst erscheinen lassen. Ob sich die Vorwürfe letztlich überhaupt als vorsätzliche Sexualdelikte beweisen lassen, erscheint demnach fraglich, muss aber einem Hauptverfahren vorbehalten bleiben. Der High Court hatte hier die materiellen Vorwürfe – insbesondere auch den subjektiven Tatbestand – nicht zu prüfen, sondern lediglich die abstrakte doppelte Strafbarkeit. Hier geht es dann etwa um die vom High Court bejahte Frage, ob sich der Unrechtskern des Delikts "rape" im europäischen Kontext mittlerweile verschoben hat von Gewaltanwendung auf die Missachtung mangelnden Einverständnisses.
Der High Court weist an verschiedenen Stellen der Entscheidung auf seine beschränkte Prüfpflicht hin: Nur bei offensichtlich missbräuchlicher Verwendung des Haftbefehls sei dieser nicht zu befolgen.
Bei der Frage der Verhältnismäßigkeit des europäischen Haftbefehls stellt der High Court auf die "Vorwürfe" ab, die ja doch erheblich seien, nämlich "serious sexual offenses". Hier wird ebenso wenig wie zuvor auf die konkreten vorgeworfenen Handlungsweisen im Kontext abgestellt, die wohl am unteren Rand des Schweregrads der jeweiligen objektiven Tatbestände liegen dürften, sondern auf die abstrakten Vorwürfe („rape“, „sexual molestation“).
Ergänzung: Hier die frühere Diskussion im Beck-Blog.
Die Perspektive der Verteidigung Assanges findet sich hier.