Nur ein bisschen abgeschrieben - ist das denn so schlimm? Plagiatsvorwurf gegen Verteidigungsminister
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Eine Suche nach Fehlern, die Politiker einmal auf anderen Feldern begangen haben, sieht entweder aus wie eine Kampagne politischer Gegner, oder sie hat schnell etwas Korinthenkackerisches - vier oder acht Absätze auf einigen hundert Seiten (Süddeutsche, SpiegelOnline und FAZ), das kann doch wohl nicht so erheblich sein (update: die im Internet schon verbreitete Rezension von Andras Fischer-Lescano in der Kritischen Justiz - Heft1/2011 - verweist immerhin auf 24 Absätze, ohne vollständige Überprüfung der Arbeit). Schließlich soll es doch beim Politiker vor allem auf seine politischen Meriten ankommen.
Naja.
Ich will hier einfach nur die Maßstäbe anführen, die ich selbst (und wohl die meisten meiner Kollegen) bei Verstößen gegen das wissenschaftliche Arbeiten bei Studienarbeiten im Rahmen der juristischen Universitätsprüfung (Teil der Ersten Juristischen Prüfung) anwenden, und die ich auch Doktoranden predige:
JEDE Übernahme eines fremden Gedankens MUSS in der Fußnote genau bezeichnet werden. Eine wörtliche Übernahme von Textstellen anderer Autoren ist mit Anführungszeichen vor und hinter dem Zitat anzuzeigen und ebenfalls in der Fußnote zu belegen. Im Literaturverzeichnis sind wirklich alle verwendeten Quellen anzugeben.
Wird (bei der Studienarbeit) eine Missachtung dieser Regeln gefunden, führt dies zur Abwertung um einige Punkte, bei mehrfachen Verstößen in einer Arbeit zur Wertung "ungenügend" - und zwar egal, wie gut der sonstige Text ist. In den vergangenen Jahren sind schon einige Studenten bei Stichproben "erwischt" worden. Bei manchen bin ich sicher, dass es gar kein böser Wille war, nur das Ungeschick/die Unsitte, aus dem Internet Textstellen direkt in den Entwurf zu kopieren und dann das Umformulieren und/oder das Belegen zu vergessen. Aber der subjektive Tatbestand kann hier nicht entscheidend sein: Jede Arbeit muss objektiv diese Formalien erfüllen.
Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, dass alle Plagiatstellen in Studien- und Doktorarbeiten gefunden werden. Es wäre auch viel zu viel Aufwand, als Gutachter alle Arbeiten komplett darauf zu überprüfen, ein gewisses Vertrauen muss man zu seinen Studenten und Doktoranden schon haben, sonst lenkt die Suche nach "Stellen" ab vom Wesentlichen, dem Inhalt. Ich bin daher ziemlich sicher, dass es "da draußen" viele Arbeiten gibt, die solche Fehler wie die unseres Verteidigungsministers enthalten, ganz unabhängig von der sonstigen Qualität (im Übrigen gibt es ja auch Plagiats-Beispiele von anerkannten hervorragenden Wissenschaftlern).
Doch: Bei - notwendig publizierten - Doktorarbeiten ist, wenn der Doktor prominent ist oder wird, immer damit zu rechnen, dass ihm später solche Fehler vorgehalten werden. Das ist dann doppelt peinlich. Und das sage ich meinen Doktoranden: Lieber jetzt doppelt und dreifach prüfen, ob alles schön belegt ist, als sich nachher (wenn man prominenter Richter oder Minister geworden ist) solche Dinge vorwerfen lassen zu müssen.
Ein großer Skandal? (update 21.02.:) Ja, da sich die Plagiatstellen als systematische Vorgehensweise entpuppt haben.
Update 21.02. 17.30 Uhr: Mittlerweile sind abgeschriebene und nicht korrekt zitierte Stellen mit wörtlichen oder fast wörtlichen Übernahmen aus Fremdtexten auf 271 Seiten der Dissertation entdeckt worden (Quelle). Einen anschaulichen interaktiven Überblick mit Nachprüfungsmöglichkeit bietet diese neue Seite.
Update 1. März In der Wissenschaft wird inzwischen zunehmend der Rücktritt des Verteidigungsministers gefordert:
Offener Brief an die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel von Doktoranden und Promovierten LINK
Erklärung von Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern zu den Standards akademischer Prüfungen LINK
UPDATE 1. März, 11 Uhr: Laut Spiegel-Online will zu Guttenberg heute noch seinen Rücktritt als Minister bekanntgeben.