Polizisten stiften Bürger zum Rauschgiftschmuggel an - BGH ändert endlich seine ständige Rechtsprechung
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
„Nachdem eine langfristige Observation sowie umfangreiche Überwachungsmaßnahmen diesen Verdacht nicht bestätigt hatten, setzte die Polizei mehrere verdeckte Ermittler aus Deutschland und den Niederlanden ein, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten versuchten, die Beschuldigten dazu zu bringen, ihnen große Mengen "Ecstacy"-Tabletten aus den Niederlanden zu besorgen. Die Beschuldigten weigerten sich, dies zu tun. Erst als einer der Verdeckten Ermittler drohend auftrat und ein anderer wahrheitswidrig behauptete, wenn er seinen Hinterleuten das Rauschgift nicht besorge, werde seine Familie mit dem Tod bedroht, halfen die Beschuldigten in zwei Fällen ohne jedes Entgelt bei der Beschaffung und Einfuhr von Ectacy aus den Niederlanden. Diese Feststellungen hat das Landgericht auf der Grundlage der Einlassungen der Angeklagten getroffen, weil die Polizei nicht bereit war, die Verdeckten Ermittler offen als Zeugen vernehmen zu lassen. “
So ein Auszug aus der Sachverhaltsschilderung in einer Pressemitteilung des BGH von heute. Hier werden nicht die Verfahrensweisen der Stasi oder eines notorischen Unrechtsstaats geschildert, sondern die der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat. Aber was ist das für ein „Rechts“-Staat, in dem es möglich ist, dass Polizeibeamte einen unverdächtigen Bürger, der sich zunächst sträubt, durch Lügen und Drohungen dazu bringen, eine Straftat zu begehen, für die er dann angeklagt und verurteilt wird? Die rechtswidrige Tatprovokation sei lediglich in der Strafzumessung zu berücksichtigen, so die bis jetzt ständige Rechtsprechung, ein Verfahrenshindernis sei sie jedenfalls nicht. Trotz der Strafmilderungen wurden Betroffene allerdings wegen der im Betäubungsmittelstrafrecht üblicherweise sehr hohen Strafdrohungen immer noch zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.
Bislang wurde diese Rechtsprechung von sämtlichen Senaten des Bundesgerichtshofs als gerecht und vom BVerfG als noch verfassungsgemäß
angesehen. Das BVerfG argumentierte zuletzt (Dezember 2014) so (Auszug Pressemitteilung):
„In der bisherigen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde offen gelassen, ob die Mitwirkung eines polizeilichen Lockspitzels bei der Überführung eines Straftäters überhaupt geeignet sein kann, die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs gegen den Betroffenen zu hindern.(…) Selbst wenn man dies im Grundsatz für möglich erachten wollte, könnte ein derartiges Verbot der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs nur in extremen Ausnahmefällen aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werden, weil es nicht nur Belange des Beschuldigten, sondern auch das Interesse an einer der materiellen Gerechtigkeit dienenden Strafverfolgung schützt.“
In den Fällen, in denen der Staat durch seine Polizei rechtswidrig Straftaten provoziert, ist allerdings schon das Entstehen eines rechtmäßigen „staatlichen Strafanspruchs“ äußerst fraglich. Vom BVerfG wird nun gerade dieser vergiftete „Strafanspruch“ auf Grundrechtshöhe hochgeschraubt und die „der materiellen Gerechtigkeit dienende Strafverfolgung“ gegen das Schutzinteresse des vom Staat rechtswidrig Provozierten in Stellung gebracht. Eine m. E. kaum mehr mit Gerechtigkeitsvorstellungen in Einklang zu bringende Argumentationsweise.
Nun hat der 2. Senat des BGH diese Rechtsprechung zumindest teilweise korrigiert. Dies geschah nicht freiwillig, denn im Oktober 2014 hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fall Furcht gegen Deutschland) moniert, dass um dem fair-trial-Prinzip zu genügen in Fällen der rechtswidrigen Tatprovokation eine bloße Strafmilderung zur Kompensation nicht ausreiche.