Salomonisches Urteil mit schalem Beigeschmack - Finale im Prozess gegen Gustl Mollath
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Zunächst herrscht Informationschaos. Was hat denn das LG Regensburg eigentlich entschieden? Ein Unterstützer jubelt per Twitter: Freispruch „erster Klasse“, um dann Minuten später das Gericht wegen der Urteilsbegründung zu beschimpfen – offenbar ist hier jemandem der Durchblick komplett verloren gegangen.
Aber auch die Top-Medien versagen: Tagesschau24 meldet (noch um 11.30 Uhr in regelmäßiger Wiederholung einer falschen Erstmeldung) , die Kammer halte Mollath für „schuldig“, seine Frau misshandelt zu haben, die Tagesschau-Berichterstatterin vor Ort bemerkt offenbar nicht, dass sie sich laufend widerspricht („schuldig, schuldunfähig, im Zweifel für…, Tat dennoch nicht nachgewiesen…").
Nun scheinen mir die Informationen des gerichtlichen Pressesprechers RiLG Polnik (Pressemitteilung) gesichert. Danach fielen Tenor und Urteilsbegründung differenziert aus – abweichend sowohl vom Plädoyer der Staatsanwaltschaft als auch von dem der Verteidigung.
Freispruch aus tatsächlichen Gründen
Der Freispruch Gustl Mollaths erfolgte hinsichtlich der Taten am 31.05.2002 (Freiheitsberaubung und Körperverletzung) sowie hinsichtlich der Sachbeschädigungsanklage (Reifenstechereien 2004/2005) aus tatsächlichen Gründen: Das heißt, hier konnte sich das Gericht nicht von der Täterschaft Mollaths überzeugen. Dem ist auf Grundlage meines eigenen Eindrucks in der Hauptverhandlung uneingeschränkt zuzustimmen: Die angebliche Freiheitsberaubung konnte nur mit der Aussage der Frau S. belegt werden, die zum Tatablauf und zu ihrer eigenen Wahrnehmung vollkommen unterschiedliche und daher unglaubhafte Angaben gemacht hatte.
Bei den Reifenstechereien war nur noch festzustellen, dass einige Personen aus dem Umfeld der Frau Mollath von Reifendruckverlust betroffen waren. Ob und wie diese Druckverluste allerdings entstanden waren, ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Und allein darauf, dass Gustl Mollath ein Tatmotiv hatte, kann ein Urteil nicht gestützt werden. Insbesondere weil es auch ein Motiv im Umfeld der Frau Mollath gab, ihn (zu Unrecht) zu belasten.
Freispruch aus rechtlichen Gründen
Der Freispruch Mollaths hinsichtlich der Tat am 12.08.2001 (gefährliche Körperverletzung) erfolgte dagegen aus rechtlichen Gründen. Das Gericht hat hier dem Vorwurf der Ex-Ehefrau geglaubt, dass Herr Mollath sie an diesem Tag geschlagen, getreten, gebissen und gewürgt habe – letzteres in Leben gefährdender Weise.
Auch hierzu war die Beweislage nicht gut, denn die Ex-Ehefrau machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, so dass nur noch ihre früheren dokumentierten Aussagen sowie die Aussage der – nicht eben glaubhaften – Zeugin S. sowie die des Arztes vorlag, der die Verletzungen in einem medizinisch wenig aussagekräftigen Attest dokumentiert hatte.
Niemand weiß, was sich am 12.08.2001 in der Privatwohnung der Mollaths wirklich abgespielt hat. Alle sind dafür auf die Aussagen der einen oder der anderen Seite angewiesen. Die Ex-Ehefrau und die Zeugin S. haben teilweise abweichend bzw. widersprüchlich ausgesagt. Auch das Attest selbst scheint mir immer noch „verdächtig“ – ist es tatsächlich so zustande gekommen wie es der Arzt berichtet? Angesichts dieser Beweislage habe ich vor dem Urteil dazu tendiert, in dubio pro reo zugunsten Herrn Mollaths zu entscheiden. Allerdings hat auch das Gericht durchaus Gründe, die Sachlage anders zu würdigen: Ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass ein Punkt stark zu Lasten Gustl Mollaths gewirkt hat:
Dass er sich am letzten Tag der Beweisaufnahme zwar zur Tat eingelassen hat, dann aber seine konkreten Äußerungen dazu so dürftig ausfielen.
Es ist zumindest erklärungsbedürftig einerseits zu behaupten, die Misshandlungen hätten gar nicht stattgefunden und andererseits, er habe sich „nur gewehrt“. Gustl Mollath hat eine nähere Erklärung zum Tatverlauf, in dessen Zuge er sich gewehrt hat, verweigert. Das geschilderte „Verletzungsbild“ passte eher zu den behaupteten Misshandlungen als zu dem von Gustl Mollath berichteten Auto-Vorfall. Diese „Einlassung“ Mollaths wich zwar nicht ab von seinen früheren Angaben, aber sie wurde so noch einmal kurz vor dem Urteil „aufgefrischt“ und wirkte für viele wie ein Teileingeständnis – „da war etwas“. Und da Gustl Mollath nicht geschwiegen hatte, konnte das, was er nun sagte, auch gegen ihn verwertet werden, auch wenn er im letzten Wort wieder jegliche Körperverletzung bestritt.
Während seine Ex-Frau sich mittels Zeugnisverweigerung jeglicher Nachfrage und Konkretisierung ihrer Angaben erfolgreich entzogen hat, hat nun Gustl Mollath „ausgesagt“ und sich dadurch zum „frischen“ Beweismittel gegen sich selbst gemacht. Auch wenn die objektiven Beweise für seine Tat schwach blieben – dass er seine Frau vor ziemlich exakt 13 Jahren misshandelt hat, schien nun dem Gericht offenbar belegt. Zumal man sich seitens des Gerichts wohl zwar vorstellen konnte, dass die Ex-Frau später aus Rachegründen daran interessiert war, den Ex-Ehemann in die Psychiatrie zu bringen, dieses Motiv aber am 14.08.2001 (Attestausstellung) noch nicht im Vordergrund stand.
Auch wenn ich die Beweiswürdigung des Gerichts nicht teile, so ist sie zumindest möglich und nachvollziehbar hinsichtlich einer einfachen Körperverletzung (§ 223 StGB).
Hinsichtlich der Würdigung, es habe eine gefährliche Körperverletzung stattgefunden, bin ich anderer Ansicht.
Diese Würdigung beruht allein auf den durch das Attest Reichels behaupteten „Würgemalen“. Der Sachverständige Eisenmenger hat plausibel argumentiert, ein Würgen, welches Würgemale hinterlasse, stelle eine das Leben gefährdende Behandlung dar (vgl. § 224 Abs.1 Nr.5 StGB). Aber wodurch ist beweisen, dass es sich überhaupt um Würgemale handelte? Durch die späteren Fragen an Eisenmenger (bezogen auf die potentielle Gefährlichkeit des Würgens) wurde es in der Erinnerung verdeckt, aber schaut man auf den Ausgangspunkt seines Gutachtens, dann heißt es dort, dass die im Attest nicht näher beschriebenen „Würgemale“ angesichts des mangelnden rechtsmedizinischen Fachwissens des Arztes Reichel kaum einen Beleg darstellten dafür, dass die Spuren tatsächlich vom Würgen stammen.
Reichel, der sich vor Gericht auch nicht mehr konkret erinnern konnte an die damaligen Verletzungsspuren, sich also ebenfalls auf seine eigene vor 13 Jahren dokumentierte schmale „Expertise“ verließ, sagte, er kenne Würgemale vom Kampfsport. Möglicherweise ließ sich Reichel damals auch vom Bericht der Patientin dahingehend beeinflussen, bestimmte Spuren stammten vom Würgen. Meines Erachtens ist eine gefährliche Körperverletzung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung kaum belegbar.
Die Schuldfrage
Anders als die Staatsanwaltschaft hat das Gericht die Frage der Schuld beantwortet:
Im Anschluss an die Stellungnahme des Gutachters Nedopil hält das Gericht die Schuldfähigkeit (in dubio pro reo) für möglicherweise ausgeschlossen. Ich hätte – in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft – dazu tendiert, Gustl Mollath für voll schuldfähig zu halten, da von keinem der Psychiater (auch nicht von Nedopil) eine konkrete Einschätzung der Tatzeit-Schuldfähigkeit erfolgte, selbst wenn man den wenig substantiierten „Verdachtsdiagnosen“ folgt.
Die vom Gericht als nachgewiesen angesehene Tat selbst (bis auf das Würgen) wäre – leider – so „herkömmlich“, dass sich daraus keine Schlüsse auf eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit herleiten ließe. Und der Verdacht einer „wahnhaften Störung“, wenn man dieser Diagnose folgt, trat erst Jahre später auf und lässt sich nicht einfach „zurückrechnen“ auf den August 2001.
Allerdings: Die Annahme „in dubio pro reo“ schadet jedenfalls nicht. Weder ist damit in irgendeiner Weise „belegt“, dass Gustl Mollath psychisch gestört war noch lässt sich daraus eine (damalige) Gefährlichkeit schließen.
Die Unterbringung nach § 63 StGB
Die (früheren) psychiatrischen Sachverständigen und auch die früher mit der Entscheidung befassten Juristen können sich allerdings keineswegs über das Urteil freuen. Denn insofern stimmen praktisch alle Seiten überein: Eine Unterbringung nach § 63 StGB hätte es nicht geben dürfen:
Gustl Mollath saß zu Unrecht siebeneinhalb Jahre in der Psychiatrie.
Hätte das LG Nürnberg so entschieden wie nun das LG Regensburg, wäre (trotz teilweisem Tatnachweis) keinerlei nachteilige Rechtsfolge eingetreten. Hätte das LG Nürnberg so gewertet wie die heutige Staatsanwaltschaft, dann wäre wohl allenfalls eine mäßige Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt worden wäre, herausgekommen.
Ein Fazit
Auch wenn das jetzt beendete Verfahren „musterhaft“ geführt wurde – ausgeglichen sind dadurch die früher begangenen Fehler in der Begutachtung, in der Beweiswürdigung und in der fortgesetzt verlängerten Unterbringung nicht. Auf diese Fehler ist zu Recht hingewiesen und eine Korrektur angemahnt worden – auch wenn Gustl Mollath jetzt nicht vollständig von allen Vorwürfen entlastet wurde.
Das LG Regensburg hat darum auch ganz zutreffend entschieden, dass Gustl Mollath zu entschädigen ist. Dass die Regel-Entschädigung in Höhe von 25 Euro pro Hafttag viel zu gering ist, wird zutreffend kritisiert. Dies hat das Gericht aber nicht zu verantworten. Obwohl die Rehabilitation Gustl Mollaths durch das jetzige Urteil nicht vollständig ist, die Beantwortung der Entschädigungsfrage deutet zumindest symbolisch darauf hin, dass Gustl Mollath großes Unrecht geschehen ist. Siebeneinhalb Jahre seines Lebens hat man ihm genommen.
Update (6.11.2014): Hier nun die schriftlichen Urteilsgründe.